Mein Wirt: Wir stellen Gastronomen vor, die alles selbst machen: Einkauf, Küche, Service. Heute: Martin Lühmann, Besitzer des “Anno 1900“.

Lüneburg. "Speisen wie zu Großmutters Zeiten" verspricht die Menükarte des Restaurants "Anno 1900" Auf der Altstadt 8 in Lüneburg. Und in der Tat erinnert das urige Ambiente des Lokals an längst vergangene Zeiten. Blau-weiß karierte Gardinen, ein kleiner Kachelofen, eine alte Kasse und ein Grammophon lassen das Restaurant wirken, als existiere es tatsächlich schon seit 112 Jahren. Der Eindruck täuscht. "Das Lokal war 30 Jahre lang ein Bordell", sagt Inhaber Martin Lühmann. In den 90er-Jahren wurde die "Taverne Royal" geschlossen und stand seitdem jahrelang leer. "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dort ein Lokal zu eröffnen", sagt der gelernte Restaurantfachmann. Ein Freund brachte ihn darauf.

Damals führte Lühmann das Billard-Café "Shooters" am Lambertiplatz. Sein Pachtvertrag war gerade abgelaufen, da nutzten er und seine Frau Anja die Gunst der Stunde. Sie übernahmen im Jahr 2002 die "Taverne Royal", bauten sie um und eröffneten im selben Jahr das "Anno 1900". Zuvor hatten sie bereits das "Shooters" über dem Restaurant im ersten Stock des teilweise denkmalgeschützten Hauses installiert. Der Name "Anno 1900" ist einem Kölner Lokal entlehnt. "Die Gaststätte, die ich dort entdeckt hatte, hieß "Anno 1920" und war sehr kurios eingerichtet. Das hat mir auf Anhieb gefallen", sagt Martin Lühmann.

Bevor sie die "Taverne Royal" übernahmen, führte das Gastronomenpaar zwei Jahre bis 2002 das Restaurant "Zum Sülfmeister". "Dort begannen wir unsere Schnitzelproduktion", sagt der Wirt. Schnitzel sind nämlich seine Spezialität. Vom klassischen Zigeunerschnitzel bis zum scharfen Jalapeno-Schnitzel bekommt der Gast eine breite Palette an Schnitzelgerichten geboten. Lühmann behauptet, die größten Schnitzel des Nordens zu machen. Bis zu einem Kilogramm wiege solch eine paniertes Fleischscheibe bei ihm.

Neben der gutbürgerlichen deutschen Küche brutzelt der gebürtige Lüneburger auch Ausgefallenes, wie Schlangen-, Krokodil-, und Rentierfleisch. "Zu unseren Dschungelwochen gibt's dann auch mal Heuschrecken und Mehlwürmer zu essen." Und das Erstaunliche sei, dass sich Frauen nach Erfahrung des Restaurantbesitzers viel eher trauen, solche außergewöhnlichen Gerichte zu probieren als Männer.

Dschungelwochen, Schnitzel- und Schärfemeisterschaften - Lühmann denkt sich immer neue Aktionen aus, um sein Restaurant zu vermarkten. "Man muss sich von der Konkurrenz abheben. Vor allem im Sommer, wenn wegen fehlenden Außensitzplätzen weniger Gäste kommen", betont der Wirt. Daher beinhaltet sein Angebot auch Außer-Haus-Lieferung und Catering. Seine Speisekarte ändert sich zudem vierteljährlich. "So wird es nie langweilig bei uns."

Angst, dass er mit seinem Lokal pleitegehen könnte, hat der erfahrene Gastronom nicht. Er sagt: "In unserer Branche heißt es: Wer nach fünf Jahren immer noch dabei ist, bleibt es auch. Und wir haben uns hier gut etabliert."

Der Erfolg des Lokals liegt dem Wirt zufolge auch an der Qualität seiner Produkte und Speisen. Denn er verwendet keine Tiefkühl- oder Fertigware, sondern bereitet mit seinem Team täglich alles aus frischen Zutaten zu. "Das ist viel Arbeit, aber ich freue mich immer wieder, wenn ein Gast mein Restaurant zufrieden verlässt", sagt Lühmann. An Ruhetagen und während der täglichen Mittagspause geht die Arbeit für den Inhaber und seine Frau weiter. Dann müssen der Einkauf gemacht, Büroarbeiten erledigt und das Essen für den Abend vorbereitet werden.

Dazu kommt noch die Versorgung der fünf gemeinsamen Töchter. Wie schafft man es, Kindererziehung und einen Full-Time-Job wie diesen zu meistern, fragt man sich da. Die Antwort des Restauranbetreibers lautet: "Indem man sich gut organisiert. Die Kinder waren außerdem immer bei uns im Lokal, wenn es nicht anders ging. Sie sind quasi hier aufgewachsen." Geschadet hat das offenbar nicht. Denn die zweitälteste Tochter Denise möchte das "Anno 1900" irgendwann einmal von ihren Eltern übernehmen. Die 18-Jährige macht derzeit eine Ausbildung als Restaurantfachfrau in Lüneburg. Jedoch nicht im Lokal der Eltern. "Lernen muss sie woanders, damit sie ein wenig herumkommt und viel Berufserfahrung sammelt", begründet der Vater. Jeden Montag aber, trifft sich die ganze Familie zum Mittagessen im "Anno 1900".

Der Job mache Martin Lühmann immer noch viel Freude. Andererseits nerve es ihn, dass er selten Urlaub machen kann. "Sonst geht hier alles drunter und drüber", sagt er. Müsste er sich heute entscheiden, ob er sich mit einem Restaurant selbstständig macht, würde der langjährige Wirt sich dagegen entschließen. "Der Branche gehe es immer schlechter. Ich würde heute lieber als Berater für andere Wirte tätig sein." Martin Lühmann plant, irgendwann einen Ratgeber für Gastronomen zu schreiben, um sein umfassendes Wissen über die Branche weiterzugeben.