Junge Deutsche kümmern sich Jahr für Jahr in Workcamps und Begegnungsstätten um Kriegsgräber in Polen

Lüneburg. Johannes Bönning hat in den Sommerferien ein eher ungewöhnliches Ziel: Im Juli reist er mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) in ein Workcamp nach Wagrowiec, das im Partnerlandkreis des Landkreises Lüneburg in Polen liegt. Gemeinsam mit polnischen und ukrainischen Jugendlichen begibt er sich zum zweiten Mal auf historische Spurensuche in der Gemeinde Damaslawek. "Wir arbeiten auf verfallenen deutsch-evangelischen Friedhöfen, suchen nach Grabsteinen und legen eine Grabsteinsammlung, das so genannte Lapidarium, an", sagt der 18-jährige Gymnasiast aus Oedeme. In der Gegend lebten jahrhundertelang polnische, deutsche und jüdische Menschen einträchtig zusammen.

Jugendliche arbeiten die Geschichte europäischer Vertreibung auf

Während des Zweiten Weltkrieges unterdrückten die Nationalsozialisten Polen und Juden, deportierten und vernichteten sie. Gleichzeitig wurden weitere Deutsche aus dem Baltikum und Bessarabien angesiedelt. Nach Ende des Krieges vertrieben Polen die Deutschen. In den freigewordenen Gebieten wurden wiederum Polen untergebracht, die ihre Heimat im ehemaligen Ost-Polen verlassen mussten. Trotz des erlebten Leids ist der Wunsch, aus der Geschichte zu lernen, auf allen Seiten groß. Die Camps in Frankreich, Italien oder England sind begehrte Ferienziele für junge Menschen und oft schnell ausgebucht. Das jedoch gilt weniger für Wagrowiec. Die wald- und seenreiche Landschaft in Westpolen erscheint vielen Jugendlichen zu entlegen. "Ein weißer Fleck auf der Landkarte", sagt John Cramer, Schulreferent des Volksbund im Bezirksverband Lüneburg/Stade.

Doch obwohl Fußballer in der deutschen Nationalmannschaft kicken und die Tradition des Taubenzüchtens aus dem Nachbarland stammt, ist die Liste der Vorurteile gegen Polen lang: Polen trinken zu viel Alkohol, sind streitsüchtig und intolerant, schmuggeln und klauen. Im Gegenzug halten die Polen ihre deutschen Nachbarn unter anderem für wenig gastfreundlich, aggressiv, humorlos und zu dick.

"Im Mittelpunkt der Workcamps steht die Begegnung der Jugendlichen mit anderen Nationen. Die Andersartigkeit wird während des Aufenthalts alltäglich", sagt Cramer. Anfänglich fremde Menschen würden nicht länger als bedrohlich und beängstigend erlebt, sondern als junge Menschen mit ähnlichen Sorgen, Wünschen, Problemen und Gedanken.

Klischees über die Nachbarn werden im Camp widerlegt

Seit acht Jahren begleitet Birgit Putensen deutsche Jugendliche in den polnischen Landkreis. "Die meisten von ihnen waren nie zuvor in Polen", sagt die Harburger Kommissarin, die aus Gödenstorf in der Samtgemeinde Salzhausen stammt.

In diesem Jahr steht das Projekt vergessener deutscher Friedhofe unter dem Aspekt von Flucht und Vertreibung. Der zweite Weltkrieg löste eine bis dahin beispiellose Völkerwanderung aus. Millionen von Menschen befanden sich auf der Flucht. "Und was passiert heute in Afrika?" fragt Putensen. Der in Ruanda entbrannte Konflikt koste Hunderttausenden von Menschen das Leben und trieb Millionen in die Flucht. "Auch die im Camp versammelten Nationen sind allemal Opfer von Flucht und Vertreibung." Die Spurensuche auf unentdeckten und von der Natur zurück eroberten Friedhöfen lasse die Jugend Geschichte und Einzelschicksale erforschen.

Die Neugierde auf die europäischen Nachbarn lockte Johannes Bönning nach Polen. "Bis dahin verbrachte ich die Ferien entweder zu Hause oder im italienischen Ferienhaus." Vorurteile gegen die östlichen Nachbarn kennt Johannes nicht und kann sie ebenfalls nicht auf Seiten der polnischen Bevölkerung erkennen. Mit Freude erwartet er die kommenden Ferien, die neben der Friedensarbeit jede Menge Spaß verspricht.

Zwischen Lüneburg und Wagrowiec besteht seit Jahren eine Partnerschaft

Zur Abschlussveranstaltung nach Wagrowiec reist jährlich der Kreisverband Lüneburg des Volksbundes in Begleitung von Landrat Manfred Nahrstedt. "Friedensarbeit ist ein Thema, das mich seit meiner Jugend begleitet", sagt Nahrstedt, der den Kreis wie auch den VDK vertritt.

Im Workcamp vom 5. bis 19. Juli sind noch Plätze für Teilnehmer zwischen 16 bis 25 Jahren frei. Die Fahrt kostet 210 Euro, inklusive Vollpension. Weitere Informationen unter der Telefonnummer 0511/32 12 82 und im Internet.