Achselzucken ist die einzige Reaktion auf die Frage, warum Hassan L.* und Thomas B.* an einem Sommernachmittag Auf dem Sande heftig aufeinander einprügelten. Die jungen Männer kennen sich flüchtig, aber an den Grund für die Auseinandersetzung wollen sie sich heute nicht mehr erinnern.

Nicht in Vergessenheit geraten sind indes die Anzeigen bei der Polizei. Eine, in der Hassan L. Thomas B. beschuldigt, ihn angegriffen zu haben. Und die zweite, in der Thomas B. Hassan L. als Täter nennt. Die Richterin am Amtsgericht Lüneburg ist genervt. Statt die Schlägerei in zwei Verhandlungen aufzuarbeiten, will sie die Verfahren verbinden, um den Fall schnell zu den Akten legen. Zuerst wird die Anklage gegen Hassan L. verlesen.

Der Syrer, der seine Haare wie Fußballnationalspieler Bastian Schweinsteiger zur Weltmeisterschaft 2006 im Irokesenlook gestylt hat, erzählt was geschah, bevor sich die beiden jungen Männer im Straßenstaub wälzten. "Ich war mit meiner Freundin spazieren. Und sie sagte, dass der Typ auf der anderen Straßenseite uns die ganze Zeit so komisch anstarrt." Dann sei alles ganz schnell gegangen. "Der rannte über die Straße, schubste mich weg, schrie Scheißtürke und hat auf mich eingeschlagen", fasst Hassan L. zusammen. Von dem Schlag behielt der 26-Jährige eine Risswunde hinterm linken Ohr zurück. Dass er daraufhin seinen Gürtel aus der Hose zog und mit der schweren Eisenschnalle auf Thomas B. eindrosch, rechtfertigt Hassan L. so: "Ich hab Angst gehabt. Und ich habe geblutet, der andere nicht."

Die Richterin ruft Thomas B. in den Saal, der als Zeuge geladen ist. Der 24 Jahre alte Hausmeister hat von der Schlägerei eine Narbe am Hals und legt ein Attest vor, in dem steht, dass er wochenlang an Schluckbeschwerden gelitten habe. "Sind sie sich nach dem Streit noch mal begegnet?", fragt die Richterin Thomas B. Der schüttelt langsam den Kopf. "Die Sache ist erledigt und Sie gehen sich aus dem Weg?" Der Zeuge nickt. Damit, dass die Richterin beide Verfahren zusammenlegt, ist der Lüneburger einverstanden, mehr hat er nicht zu sagen.

"Ich habe eine Woche nichts gehört auf dem Ohr", sagt Hassan L. und "ganz ehrlich", der andere habe angefangen. "Mit Notwehr kommen Sie hier aber nicht durch", sagt die Vorsitzende und runzelt die Stirn. "Für Notwehr dauert das alles zu lange, ehe Sie den Gürtel aus der Hose gezogen haben."

Die Richterin schaut von einem jungen Mann zum anderen: "Sie sind nach diesem Vorfall nie wieder aneinander geraten, sondern sich aus dem Weg gegangen. Das ist gut. Außerdem ist der Schaden bei beiden etwa gleichwertig, ihre Verletzungen sind vergleichbar. Was halten Sie davon, wenn wir beide Verfahren einstellen?" Die Staatsanwältin ist einverstanden, ebenso wie der Angeklagte und der Zeuge.

* Namen geändert