Nomalerweise bringt Christina Kaul unzählige Farbschichten auf Leinwand - bei den “Tagesbildern“ sind es nur zwei Töne und Weiß.

Lüneburg. "Jeden Tag ein Bild" - Das Projekt Tagesbild 2010 der Lüneburger Malerin Christina Kaul ist eine Hommage an den Zufall: Ein Jahr lang greift sie täglich zwei Farben blind aus dem Sortiment von 80 Tönen und mischt diese mit Weiß ab. Die zufällig entstandene Mischung trägt sie auf eine kleine Leinwand auf, lässt durch den Einsatz von Rolle, Spachtel und Hölzchen Strukturen entstehen, integriert Ort, Datum und Farbnamen in das Bild.

"Das Projekt ist die bewusste Absage an tägliche Befindlichkeiten, deshalb wähle ich die Farben zufällig aus. Die Verpflichtung, jeden Tag ein Bild zu malen, bedeutet für mich eine gewollte Disziplinierung", sagt Christina Kaul. Rund eine halbe Stunde nimmt der Malakt in Anspruch, bevor das Ergebnis in das extra dafür angelegte Internet-Fotoalbum eingestellt wird. 2011 sollen die 365 entstandenen Werke in einer Rauminstallation erst- und einmalig im Zusammenhang gezeigt werden. Kaul: "Ich habe die Idee schon lange mit mir herumgetragen. Jetzt war es an der Zeit, sie auch umzusetzen."

Normalerweise nimmt sich Kaul für ihre Arbeiten mehr Zeit: Denn hinter der meist nur zweifarbigen Oberfläche ihrer Bilder verbergen sich zahllose Farbschichten. Monate, ja ein Jahr kann es dauern, bis sie die Leinwand mit 50 Schichten lasiert und den für sich stimmigen Farbton gefunden hat.

Dabei ist der Farbton jeder Schicht das Ergebnis eines Farbengemischs. Nicht zu vergessen die meditative Komponente ihres Schaffens, die gleichförmige Bewegung der Pinselführung bis eine feine Lasur die 1,50 x 2,50 Meter umfassende Leinwand bedeckt. "Ich mag das Sinnliche der Farbe. Sie spricht sofort an und geht ins Herz", sagt die 40-Jährige. Zurzeit bereitet sie sich auf die Ausstellung "Dialog über Luft" im Hamburger Kunstforum der GEDOK, einer Gemeinschaft von Künstlerinnen verschiedener Kunstsparten, vor: Am unteren Bildrand der in Hellgrau gehaltenen Leinwand blitzen bunte Farb- und Wortfetzen aus vorhergehenden Schichten hervor.

"Den Grauton haben schon Picasso und Matisse verwendet", sagt Christina Kaul. Die Wortfetzen entstammen aus Werken des indischen Yoga-Gelehrten Patanjali. Als Sinnbild des gelebten Lebens ist das Schichten in allen Arbeiten Christina Kauls das gestaltende Verfahren. "Schichten sind eine Parabel für unser Leben; Erfahrungen legen sich in Schichten", übersetzt sie ihren Malstil in Lebensphilosophie. Schichten in ihren Klebebildern können auch Fundstücke aus Zeitschriften, eine Yogaanleitung oder die Tabelle eines Blutbildes sein. Durch die Ablagerung benennt sie das Verstreichen von Zeit - Lebenszeit, die vergeht.

Bevor Christina Kaul an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg aufgenommen wurde, studierte sie Betriebswirtschaftslehre in Lüneburg. Doch die Diplom-Kauffrau wollte seither nichts anderes als sich mit der Kunst beschäftigen; allem voran mit Malerei. Dabei war die Malerei im Hamburger Lerchenfeld alles anderer als gefragt. En vogue war die Konzeptkunst. "Ich hatte einen schweren Stand. Wenn alle etwas anderes machen, kann es sehr schwierig werden, den eigenen Weg zu verfolgen", berichtet Kaul rückblickend.

Doch die gebürtige Seevetalerin biss sich durch und brachte die von Konkurrenzkampf geprägten Studienjahre in Hamburg hinter sich. Seit 1999 arbeitet sie als freie Künstlerin. Bisher zwei Mal stellte sie im Kunstverein Lüneburg aus, aber auch schon in Hamburg, Eckernförde und Rostock.

Im Sommer steht eine Ausstellung in der Rostocker Galerie Klosterformat an. Darüber hinaus wirkt Christina Kaul als Dozentin an der Lüneburger Kunstschule Ikarus und bietet Kinderkunstkurse in ihrem eigenen Atelier an.

www.christinakaus.de

www.tagesbild2010.de