Jahr für Jahr laden Landwirt Hans Brammer und seine Frau Marlies ihre Erntehelfer zur Kartoffelköst ein. Ein Festmahl als Belohnung für die anstrengende Erntearbeit auf den Kartoffelfeldern des Brammer-Hofes. Und eine Tradition, die geschätzt und gepflegt wird.

Raven. Die reich gedeckte Tafel in der Diele des jahrhundertealten Bauerhauses in Raven könnte einladender nicht sein. Zwischen der herbstlichen Tischdekoration blitzt das strahlend weiße Tafelgeschirr, silbrig glänzen die Bestecke, in den polierten Weingläsern spiegelt sich das Kerzenlicht. Ein Menügang folgt dem nächsten, eine dampfende Schüssel der anderen. Es schmeckt und die Anwesenden genießen jeden Bissen und jeden Schluck der erfrischenden Getränke.

Derart trocken und staubig wie in den vergangenen Wochen kommt selten eine Ernte daher. Täglich neuneinhalb Stunden kämpften die Frauen auf dem Roder gegen den feinsandigen Staub an. Er drang durch Knopf- und Ärmellöcher, Hemd- und Pulloverkragen, Mützen und Kopftücher bis in jede Hautfalte. Und dennoch, sie alle kommen gern zur Ernte auf den großen Hof. Jahr für Jahr schaukeln sie von Anfang September bis Mitte Oktober auf dem Roder über 60 Hektar Kartoffelfelder.

Sauber und strahlend waren die acht Erntehelfer der Einlandung gefolgt, unter ihnen drei Jungs und ein Mädel aus der Nachbarschaft. Nach der Schule und am Wochenende rannten sie hinüber auf den Hof um beim Abladen der Kartoffeln in der Scheune oder beim Aussortieren auf dem Roder anzupacken.

Die Kartoffelköst ist für Landwirt Hans Brammer eine Selbstverständlichkeit: "Wir sind auf diese Menschen angewiesen. Es ist ein Geben und Nehmen. Unsere Erntehelfer kommen aus der Nachbarschaft und noch nie mussten wir ausländische Helfer einsetzten." Das traditionelle Ernteessen erlebte Brammer bereits in seiner Kindheit. In Raven, Rolfsen und Soderstorf sei es üblich gewesen, den Abschluss der Ernte entweder auf dem Feld oder in der Hofscheune mit Kaffee, Butterkuchen, heißer Schokolode für die Kinder und deftigeren Getränken für die Erwachsenen zu feiern.

Der Unterschied zu heute: "Vor 40 Jahren beschäftigte mein Vater zur Ente fünfmal so viel Helfer." In keinem Wirtschaftsbereich habe es seitdem eine vergleichbare Produktivitätsentwicklung gegeben.

2500 Tonnen frisch geerntete Kartoffeln der verschiedensten Sorten lagern auf dem Ravener Hof, "eine gute Durchschnittsernte." Deren Vermarktung beginnt Ende Oktober und endet Anfang Mai 2010. 90 Prozent der Ware wird kostengünstig in Verbrauchermärkten angeboten. "Verbraucherwunsch und Kaufverhalten sind zweierlei." Einerseits gibt die Hausfrau an, nur das Beste für ihre Familie einkaufen zu wollen; andererseits soll das Beste so günstig wie möglich sein. Höchstes Kaufkriterium ist weniger die innere Qualität sondern der Wunsch, gewaschene und optisch im Netz gut aussehende Kartoffeln zu einem Niedrigpreis nach Hause zu tragen. Zu einem geringen Teil würden die Speisekartoffeln in der Direktvermarktung auf den Höfen verkauft. Die anspruchsvollsten Kunden seien auf den Wochenmärkten zu finden. Sie suchten gut aussehende und geschmackvolle Ware. "Und sind bereit, dafür mehr zu zahlen."

Nach Brammers Aussage essen die Menschen immer weniger frische Kartoffeln. Der Verbrauch ist auf unter 30 Kilogramm pro Verbraucher gesunken. Im Gegenzug habe der Verbrauch von industriell hergestellten Veredelungsprodukten wie Pommes Frites, Püree, Kartoffelpuffer oder Chips zugenommen.

Zur diesjährigen Kartoffelköst servierte Marlies Brammer die gelbfleischige und festkochende Allians. Die verschiedensten Sorten landen im Kochtopf der Hausfrau. Beliebt beim Hausherrn ist die Belana. "Sie wird wohl den Platz der Linda einnehmen."