Die Landwirte gewähren ihren Gästen einen Blick hinter die Kulissen der aufwendigen Milcherzeugung.

Handorf. Die Schockstarre hält bei Gitta Tangermann noch an. Tief sitzt der Stachel der Enttäuschung bei der Milchbäuerin aus Handorf nach der Podiumsdiskussion mit Bundestagskandidaten Anfang vergangener Woche in der Stadthalle Winsen/Luhe (die Rundschau berichtete). ,,Die Politiker wissen so gut wie nichts von den Problemen der Milchbauern. Deshalb werden sie uns auch nicht helfen können", beklagt Tangermann. Nun suchen sie und ihre Berufskollegen, die sich im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) organisieren, Hilfe bei den Verbrauchern. Zum Milchbauerntag am Sonntag, 30. August, von 10 bis 16 Uhr öffnet Familie Tangermann die Pforten ihres Bauernhofes an der Bäckerstraße 9 in Handorf.

,,Wir suchen die Unterstützung der Bürger", sagt Gitta Tangermann. Die Besucher sollen bei der Betriebsbesichtigung jene Arbeitsschritte kennenlernen, wie die Milch von der Kuh ins Ladenregal kommt. ,,Wir stellen unseren Arbeitstag vor, der früh morgens mit dem Melken beginnt und erst abends aufhört."

Dabei will die Milchbäuerin über Gespräche mit ihren Gästen auch die aktuellen wirtschaftlichen Sorgen und Nöte ihres Berufsstandes vermitteln, etwa dass sich die Schlinge um den Hals der Landwirte immer enger zieht. "Wir verdienen nichts mehr. Jeder Melkdurchgang kostet uns Geld, verursacht ein Minus von 200 Euro", berichtet die 49-Jährige. Zurzeit erhalten Bauern für ein Kilogramm Milch rund 19 Cent von den Molkereien. ,,Davon können wir nicht einmal mehr die Tiere ernähren. Die Futterrechnungen schieben wir vor uns her und warten dringend auf Fördergeld der EU, damit wir sie bezahlen können", verdeutlicht sie die heikle Lage. Hinzu kommen Kosten für Energie, Diesel, Dünger und den Tierarzt. Noch ein Jahr, sagt Gitta Tangermann, ,,dann sind wir pleite - und zwar alle kleinen und mittleren Betriebe". 40 Cent je Kilogramm Milch wären nötig, um über die Runden zu kommen, erklärt die Handorferin.

Ans Aufgeben denkt sie trotz der dramatischen Situation nicht. ,,Unser Herz hängt doch an unserem Hof, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts von der Familie bewirtschaftet wird." Der Zuchtbetrieb in Handorf zählt insgesamt 150 Tiere, davon sind 80 Milchkühe. Über die Nachfolge bräuchte sich Gitta Tangermann eigentlich keine Sorgen machen. Tochter Finja will weiter wirtschaften. Die 17 Jahre alte Abiturientin der Herderschule in Lüneburg sagt: ,,Ich habe Lust und Spaß daran. Dass ich weitermachen kann, dafür kämpft jetzt meine Mama. Das ist auch eine Frage der Würde." Zudem seien Familienbetriebe wichtig für das dörfliche Leben. Mit dem Tag des offenen Bauernhofes solle eines erreicht werden: ,,Das Volk muss entscheiden, ob es unsere Milch kauft oder nicht."

Aber nicht nur der Verbraucher sei gefragt, auch die Berufskollegen, die den Ernst der Lage nach den Worten Tangermanns noch nicht erkannt haben - oder erkennen wollen. ,,Wenn wir uns alle nicht bald einig sind, fahren wir die Karre an die Wand", so die Bäuerin. Die Milchmenge, die von den Betrieben auf den Markt fließt, müsse freiwillig beschränkt werden. ,,Das ist unsere letzte Chance. Politik und EU helfen uns nicht."

Doch nicht nur der Kampf für eine lebenswerte Zukunft in dem Beruf, den ihre Familie mit Leidenschaft ausübt, treibt die Handorferin um. Sie versucht, neue Standbeine für den Betrieb zu entwickeln. ,,Wir müssen eigene neue Märkte für unsere Milch erschließen. Vorstellbar wäre, dass wir uns von den Molkereien abkoppeln und eine eigene kleine Molkerei betreiben und dann unsere Produkte selbst vermarkten", sagt Gitta Tangermann. Auch die Dächer des Kuhstalls und der Maschinenhalle mit einer Gesamtfläche von rund 700 Quadratmetern sollen künftig Einnahmen bescheren. ,,Wir werden sie für die Stromerzeugung mit Solaranlagen vermarkten." Eine 90 Kilowatt-Anlage soll entstehen.