Zwei junge Frauen mit unterschiedlichen Erinnerungen an den Bürgerkrieg in ihrer Heimat Bosnien.

Lüneburg. Milena Samardzija fühlt sich ungerecht behandelt. Die 32-Jährige aus dem Lüneburger Stadtteil Wilschenbruch wehrt sich dagegen, dass ihr Volk der Serben seit den Jugoslawien-Kriegen in den Neunziger Jahren "als Bösewichte abgestempelt" wird. Anlass dafür gibt es wieder dieser Tage. Denn vor genau 14 Jahren ereignete sich ein Kriegsverbrechen, das als "Massaker von Srebrenica" in die Geschichte einging.

Bei dem schlimmsten Fall von Völkermord seit dem Zweiten Weltkrieg starben mindestens 8000 bosnische Muslime. Unter den Toten ist auch der Vater von Advija Ibrahimovic. Die damals Elfjährige sah ihn das letzte Mal, als er von Soldaten der bosnisch-serbischen Armee abgeführt wurde. Jahre später haben Experten der Internationalen Kommission für vermisste Personen in einem Massengrab Knochen gefunden, die sie ihm per DNA-Test zuordnen konnten.

Auch Advijas Mutter starb im Bosnienkrieg. Doch die persönlichen Schicksalsschläge haben sie nicht verbittert gemacht. Stattdessen will sie ihr Leben nutzen, um anderen Menschen zu helfen. Im bosnischen Tuzla studiert sie mit Unterstützung eines Hilfsfonds für jugendliche Opfer des Bürgerkriegs Medizin. Nebenbei engagiert sie sich in einer Nichtregierungsorganisation, die das Massaker aufzuklären versucht. "Ich will die Wahrheit über den Tod meines Vaters erfahren", sagt die angehende Gynäkologin.

Um ehrliche Aufklärung des Krieges ist auch Milena Samardzija bemüht. "Die halbe Wahrheit ist nicht die ganze Wahrheit", sagt sie leicht verbittert. Sie hat die Ereignisse von Srebrenica als 18-Jährige nur aus den Medien mitbekommen. "Dabei fiel mir auf, dass die Geschichte in meiner Heimat bis heute ganz anders dargestellt wird als hier in Deutschland."

Milena: "Es gab auch unter den Serben viele Opfer." In ihrer Familie zum Beispiel ist ein Bruder ihres Vaters umgekommen, als er auf eine Mine getreten ist. Ein anderer Onkel wurde zum Kriegsdienst in der bosnisch-serbischen Armee gezwungen, berichtet sie und muss schlucken.

Milena selbst erlebte die Grausamkeit des Krieges beim Besuch ihrer Verwandten zum Jahreswechsel 1993/94. Nach Feuerwerk war ihr damals nicht zumute angesichts von Gewehrsalven und Granatendonner, die den Alltag jener Zeit in der idyllischen Berglandschaft bestimmten.

In einem nahe gelegenen Wald hatten sich elf Heckenschützen verschanzt und machten Jagd auf die Bewohner des kleinen Dorfes bei Gradischka. "Wir wollten unsere Familie unbedingt noch einmal sehen, trotz Herzrasen."

Der kleine Ort liegt nur wenige Kilometer von der einstigen Silberstadt Srebrenica entfernt. Durch Milenas liebste Urlaubsstadt fließt heute die Save, der Grenzfluss zwischen Kroatien und der Republika Srpska. Dieser Staat im Staat Bosnien-Herzegowina wird überwiegend von Serben bewohnt. Im Straßenbild wird das vor allem an kyrillischen Buchstaben auf den Hinweisschildern und den Türmen von orthodoxen Kirchen statt der Minarette von Moscheen offensichtlich.

"Der Fluss trennt aber nur zwei Staaten, nicht zwei Völker", sagt Milena. Denn trotz aller Vertreibungen wohnen Orthodoxe, Katholiken und Muslime heute wieder in den Städten zusammen, allerdings in getrennten Wohnbezirken für die einzelnen Volksgruppen. Außerdem besuchen die bosnischen Kinder und Jugendlichen getrennten Schulunterricht, je nach Religion.

Dieser Teil ihrer Identität ist auch für Milena sehr wichtig: "Ich bin zwar nicht streng gläubig, aber die serbisch-orthodoxe Religion gehört einfach zu unseren Traditionen."

Das Vertraute gibt der Familie Halt in der Fremde. In Lüneburg lebt Milena nach dem orthodoxen Kirchenkalender und feiert Weihnachten im Januar. Gästen bietet sie Slivovice-Bowle an und im Hintergrund läuft ihre Lieblingssängerin Ceca Raznatovic. Im Internet sucht Milena nach Informationen über Bosnien. Dieser Tage zum Beispiel gibt sie das Stichwort Srebrenica in die Suchmasken ein - aber nur auf serbischen Webseiten.