In Lüneburgs Kindergärten gibt es derzeit nur eine Notbetreuung. Eltern unterstützen die Erzieherinnen.

Lüneburg. Sarah, Emma, Joja, Merle, Lale, Anton, Ben und Emily kommen, steht auf dem Zettel. Er liegt auf dem Tisch von Sabine Langmach, der Leiterin der Kindertagesstätte (Kita) Stadtmitte. Sie hat die Mädchen und Jungen gestern bei sich aufgenommen, weil neun andere städtische Kindergärten geschlossen waren. Die Erzieherinnen streiken für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gesundheitsschutz.

Die Streiktafeln der Gewerkschaft Ver.di stehen zusammengeklappt in ihrem Büro, das Demo-Utensil wird Sabine Langmach erst heute brauchen. Denn heute laufen wieder Verhandlungen über den Tarifvertrag, und wieder werden sieben Kitas geschlossen sein.

Dieses Mal geht auch Sabine Langmach mit ihren Kolleginnen auf die Straße, dann hält ihre Stellvertreterin die Stellung in der Egersdorffstraße. "Die Anforderungen sind in den vergangenen Jahren rasant gestiegen", sagt die Kita-Chefin. "Aus Kinderbetreuungs-Einrichtungen sind frühkindliche Bildungsstätten geworden, die Mitarbeiterinnen sind mittlerweile Bildungs- und Erziehungsberater der Eltern. Wir befähigen die Kinder auf breiter Ebene, in der Welt zurechtzukommen."

Zwar seien die Gruppen mit 23 Kindern in Lüneburg noch verhältnismäßig klein - bei 25 liege der Durchschnitt. "Die Lärmbelästigung ist trotzdem enorm hoch", sagt Langmach. "Und es stehen zu wenig Stunden zur Verfügung für Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Teambesprechungen teilen sich zwei bis drei Erzieherinnen fünf Stunden pro Woche pro Gruppe. Die Folge: Die Erzieherinnen sind permanent unter Stress und Druck."

Nur gestern nicht: Obwohl die Kita Stadtmitte die Notbetreuung übernommen hat, sind nur halb so viele Kinder im Haus wie sonst. Es ist still, fast unwirklich. "Das liegt daran, dass wir sehr viel Unterstützung von den Eltern bekommen und sie sich in der Betreuung während des Streiks auch gegenseitig helfen", sagt Langmach. "Das Notprogramm gilt außerdem nur für Berufstätige, die keine andere Lösung gefunden haben." Langmach sitzt mit der Besucherin am kleinen runden Besprechungstisch in ihrem Büro - eine der raren erwachsenengerechten Sitzgelegenheiten in der Kita.

Denn dort ist alles auf kleine Menschen ausgerichtet: niedrige Toiletten und Waschbecken, kleine Stühle und Tische. Das Problem: Auf denen sitzen die Erzieherinnen ihr gesamtes Arbeitsleben.

Und das kann krank machen. Petra-Margot Selent leitet die Kita gegenüber, am Marienplatz. Auch sie fährt Notversorgung. "Es kommen nur ganz wenige Kinder", berichtet sie, "ungefähr 16, sonst sind es 66." Die Kita-Chefin hat gerade eine Praktikantin im Haus, erklärt ihr die wesentlichen Abläufe - an einem Kindertisch. Auf Kinderstühlen müssen auch die Elternabende stattfinden, erzählt Selent: "Räume gibt es dafür nicht."

Die Kolleginnen müssten viel mehr leisten als zu ihren Lehrzeiten, sagt Selent, die Rahmenbedingungen aber seien nicht angepasst worden. Die Folge: Der Krankenstand nehme zu, von Erschöpfung bis zu Burn-Out und Tinnitus.

Auf dem Lüneburger Marktplatz ruft Ver.di-Sprecher Lutz Kokemüller im roten T-Shirt daher ins Megafon: "Wir haben es satt, dass sich die Arbeitgeber weigern, uns einen betrieblichen Gesundheitsschutz zu gewähren. Seit 2005 werden wir vertröstet, damit ist jetzt Schluss."

Der Streik geht weiter - und Sarah, Emma, Joja, Merle, Lale, Anton, Ben und Emily müssen so lange in einen fremden Kindergarten gehen.