Manch einer nennt es brotlose Kunst, für mich ist es ein Bedürfnis und persönliche Mutprobe: Ich schnappe mir im Sommer gern meine Gitarre und mache Straßenmusik. Bisher immer in normalem Outfit.

Vielleicht sollte ich mich aber als Taube verkleiden. Dann würden mir die Leute Brotkrumen zuwerfen - und es wäre eben keine brotlose Kunst mehr.

Ältere Menschen wissen meine Musik noch zu schätzen. Frauen bleiben stehen und lauschen mit beseeltem Blick. Die Männer sprechen mich schon mal an und erzählen von ihrer Jugend. Damals, als sie auch Mucker waren.

Junge Leute, die mit iPod-Stöpseln in den Ohren aufgewachsen sind, nehmen mich kaum wahr. Musik gibt es ja im Internet, frei zugängliche Musik auf der Straße wissen sie nicht zu schätzen.

Ein kleiner Junge zieht die Gewohnheiten des modernen Musikkonsums gnadenlos durch und denkt sich: Wenn ich ihre Songs schon nicht illegal aus dem Netz ziehen kann, dann klau ihr eben etwas Geld aus der Schale. Die Mutti ist zum Glück dabei, ermahnt ihren Spross zur Rückgabe.

Altersgenossen des Kleinen haben das Prinzip nur halb erkannt: Geben, nicht nehmen, denken sie, und werfen das leere Papier ihrer Schokoriegel hin. Hätte ich schon mein Taubenkostüm an, würden sie mir wenigstens noch ein paar Schoko-Krümel drinlassen.

Eine Gruppe Mädchen nähert sich. Sie sind offenbar von sensibler Natur, haben schon mal über die Ungerechtigkeiten dieser Welt nachgedacht. Bestürzt verfolgen sie, wie hier wahre, bodenständige Musik mit Füßen getreten wird. Eine kommt auf mich zu und fragt: "Bist du arm?" - Nein, ich bin eine Taube.

Juliane Fritz studierte Angewandte Kulturwissenschaften an der Uni Lüneburg.