Die Nachfrage nach gut ausgebildeten Menschen auf dem Arbeitsmarkt wächst. Künftig sollen auch mehr Schulabgänger ohne Abitur studieren dürfen.

Lüneburg. In Niedersachsen sollen zukünftig deutlich mehr Menschen ohne Abitur studieren dürfen - das fordert die niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Johanna Wanka (CDU). "Mit der Öffnung der Hochschulen sichern wir Niedersachsen die dringend benötigten Fachkräfte", sagt sie. Die Ministerin verweist auf die Statistik: Spätestens ab 2020 sinkt die Zahl der Studienanfänger, die sich nach dem Abitur für ein Hochschulstudium entscheiden könnten, drastisch.

Bisher allerdings sind es nur wenige, die es auch ohne Abitur bis an die Uni schaffen: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2009 von 425 000 Studienanfängern insgesamt nur 5400 Studienanfänger bundesweit ohne Abitur. Diese Zahlen sind ernüchternd - europaweit soll sich daran jetzt etwas ändern. Die Leuphana Universität Lüneburg beteiligt sich zu diesem Zweck an dem Forschungsprogramm OPULL (Opening Universities for lifelong learning).

"Es geht darum, die Hochschulen mehr für die nicht traditionell Studierenden zu öffnen - also für Späteinsteiger und für solche, die nicht die traditionelle Ausbildung für ein Hochschulstudium aufweisen", sagt Romina Müller, Mitarbeiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana.

Auch der Weiterbildungsmarkt für Berufstätige soll transparenter werden und dem Bedarf der Unternehmen noch mehr als bisher entsprechen. Europaweit beteiligen sich mehrere Universitäten an dem Forschungsprogramm, das in Deutschland vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.

"Das Problem ist, dass wir in Deutschland bei der Öffnung der Hochschulen etwas weiter zurück liegen als das beispielsweise in Skandinavien oder Großbritannien der Fall ist", sagt Romina Müller. Noch sind zu viele Universitäten an dem klassischen Bild des Präsenzstudiums orientiert, bei dem eine tägliche Anwesenheit der Studierenden vorausgesetzt wird.

Studierende mit schwierigem sozialen Hintergrund, Berufstätige die sich beruflich noch weiter entwickeln wollen, und Absolventen mit Berufsausbildung, die kein Abitur besitzen - das ist die Klientel, um die sich Hochschulen und Politik in Zukunft stärker bemühen wollen und bemühen müssen.

Eine der wenigen, die ein Hochschulstudium ohne das herkömmliche Abitur begonnen hat, ist Anneli Grunwald aus Osterholz-Scharmbeck. Sie studiert das Lehramt an Grund-und Hauptschulen an der Leuphana und befindet sich im Masterstudium. Noch in diesem Jahr will ihr Studium abschließen und im Winter ihr Referendariat beginnen.

Ihr Weg zur Universität führte nicht über das Gymnasium. "Ich habe den Realschulabschluss und anschließend eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin gemacht. Dieser Abschluss berechtigt zu einem Studium an einer deutschen Hochschule, allerdings nur in bestimmten Studiengängen. Der Berufsabschluss ist in etwa mit einer Fachhochschulreife gleichzusetzen", sagt Anneli Grunwald.

Obwohl ihr die Ausbildung zur Erzieherin gefallen hat, wollte sie es dabei nicht belassen. "Der Beruf ist unterbezahlt und das soziale Renommee ist nicht besonders hoch", sagt sie. Mittlerweile fühlte sie sich in Lüneburg heimisch, hat sich hier einen Freundeskreis geschaffen. Doch kleine Probleme gab es auch. "Die Finanzsituation war schwierig. Ich hatte keinen BAföG-Anspruch und wollte meine Eltern nicht zusätzlich belasten, also habe ich anfangs gejobbt", sagt sie.

In den Prüfungsphasen des Studiums allerdings wurde es immer schwieriger, neben den Prüfungsvorbereiten zu arbeiten. Es ärgert sie, dass für sie kein BAföG-Anspruch bestand: Nach den Regelungen der Berufsausbildungsförderung (BAfög) galt ihr Studium als komplett neue, zweite Berufsausbildung - und die wird vom Staat finanziell in der Regel nicht gefördert. "Als ich erfahren habe, dass ich das Studium ohne BAföG leisten soll, habe ich noch einmal sehr gezögert", sagt Anneli Grunwald.

Und auch die Kenntnisse aus der sekundären Oberstufe am Gymnasium haben ihr manchmal gefehlt. "Die Dozenten setzen voraus, dass wir alle Abitur haben. Da musste ich einiges nacharbeiten. Beispielsweise in Biologie reichten meine Kenntnisse aus der Zeit an der Realschule nicht", sagt Anneli Grundwald. Wenn es dagegen um das Einbringen praktischer Erfahrungen ging, war sie gegenüber ihren Kommilitonen klar im Vorteil. "Die Berufspraxis fiel mir leichter. Insgesamt finde ich es gut, dass es die Möglichkeit für ein Studium ohne Abitur gibt", sagt sie.

Eine Änderung der derzeitigen Verhältnisse wünscht sich vor allem im Bereich BAföG. "Das Lehramtsstudium nicht als Fortsetzung meines Ausbildungsweges zu sehen, finde ich inkonsequent. Sozialpädagogik wäre gefördert worden, die Pädagogik nicht - der Unterschied ist nicht nachzuvollziehen", sagt die zukünftige Lehrerin.