Die Lüneburger Geschichtswerkstatt feierte am Wochenende ihren 25. Geburtstag. Die Ehrenamtlichen forschen zum Thema NS-Zeit.

Lüneburg. Es war einfach an der Zeit, damals, Mitte der 80er-Jahre. "Unsere Eltern, die die Nazi-Zeit miterlebt haben, haben geschwiegen. Wir wollten wissen, was passiert war", sagt Jochen Fischer. Er ist eines von zwölf Gründungsmitgliedern der Lüneburger Geschichtswerkstatt. Am vergangenen Sonnabend feierte der Verein in der Aula der Hauptschule Stadtmitte seinen 25. Geburtstag.

Spuren suchen, aufdecken, erinnern, das ist das Ziel der Geschichtswerkstatt. Jeden Dienstagabend treffen sich die derzeit etwa zehn aktiven Mitglieder, um über ihre Projekte zu sprechen. Unter anderem gibt es einen Arbeitskreis "Stolpersteine" und einen, der sich um die Ausstellung in der Gedenkstätte in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg kümmert, einige suchen einen Stellplatz für den historischen Eisenbahnwaggon und andere recherchieren in Sachen Zwangsarbeit oder "Lüneburger Schulen in der NS-Zeit".

Außerdem müssen zahlreiche Anfragen von Schülern, Studenten und geschichtsinteressierten Bürgern bearbeitet, Ausstellungen, Stadtführungen und Gedenktage organisiert und Broschüren überarbeitet werden. Jeden Mittwoch von 15.30 bis 18 Uhr ist die Geschichtswerkstatt zudem für Besucher zum Stöbern in der vereinseigenen Fach-Bibliothek geöffnet.

In seinem Grußwort zum Jubiläum betonte Oberbürgermeister Ulrich Mädge, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte eine gesellschaftliche Aufgabe sei. "Wir müssen uns gemeinsam damit auseinandersetzen, die Geschichtswerkstatt ist der richtige Ort dafür", sagte er.

"Es gibt unheimlich viel zu tun", sagt die Erste Vorsitzende Maren Hansen. Ein bisschen Unterstützung könnten sie gut brauchen, sowohl personell als auch finanziell. "Wir könnten so viel bewegen, wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten." Das Geld aus den öffentlichen Fördertöpfen sei weniger geworden, sagt Fischer. "Es ist sehr mühsam, da ranzukommen."

Die Hobbyhistoriker träumen von einem hauptamtlichen Historiker, der effektiv erforschen könnte, was in den 30er- und 40er-Jahren in Lüneburg passierte. Von einer neu gestalteten Internetseite, um Forschungsergebnisse und Aktionen vorzustellen. Und von weiteren Publikationen und Ausstellungen, mit denen sie über die Nazi-Gräuel informieren und so für das Thema Faschismus sensibilisieren können.

Auch von der Stadt wünschen sich die Geschichtswerkstättler mehr Engagement. Fischer: "Grundsätzlich klappt die Zusammenarbeit ganz gut. Aber es passiert nur etwas, wenn wir etwas anstoßen. Von allein unternimmt die Stadt nichts, man ist da sehr knickerig." Gäbe es nicht engagierte Lüneburger wie Peter Asmussen von der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), die intensiv und auf eigene Kosten forschten, würde es um die geschichtliche Aufarbeitung düster aussehen, davon ist Fischer überzeugt.

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen haben die Lüneburger schon Vieles auf die Beine gestellt. Sieben Bücher sind erschienen, die sich beispielsweise mit dem Massengrab im Tiergarten, Lüneburgs Weg ins "Dritte Reich" oder der "Arisierung jüdischen Eigentums in Lüneburg" auseinandersetzen. Es wurden zahlreiche Stolpersteine verlegt, Ausstellungen initiiert und die Anbringung von Gedenktafeln durchgesetzt. Wie beispielsweise die am Kalandhaus - Mitglieder der Geschichtswerkstatt haben aufgedeckt, dass hier während der NS-Zeit ein Außenlager des KZ Altengamme war.

Ein Höhepunkt ihrer Arbeit war "Shalom - Willkommen in Lüneburg" im Jahr 1995. "Wir hatten 31 ehemalige jüdische Bürger und deren Familienangehörige für eine Woche nach Lüneburg eingeladen", erinnert sich die 95-jährige Sonja Barthel, Ehrenpräsidentin der Geschichtswerkstatt. "Das war unheimlich bewegend." Der Leiter der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten, Habbo Knoch, glaubt, dass die Geschichtswerkstatt noch mehr geleistet hat: "Sie hat vor Ort einen wesentlichen Beitrag zur zweiten Demokratisierung in den 1980-er Jahren geleistet." Für die Lüneburger sei die Arbeit eine große Bereicherung gewesen.

Mitmachen kann im Verein jeder, der sich für Geschichte interessiert und kein Neo-Faschist ist. Fischer: "Wir nehmen weniger Stellung zu politischen Fragen." Trotzdem würden sie immer noch oft als 'linker Haufen' hingestellt, sagt Maren Hansen. Massive Anfeindungen wie in der Anfangszeit, als noch lebende Zeitzeugen sie mundtot hätten machen wollen, gebe es aber kaum noch. "Trotzdem bekommen wir immer wieder zu hören, wir sollten diese alten Geschichten doch endlich mal ruhen lassen, es sei so lange her."

Das sehen die Geschichtswerkstättler selbstverständlich anders. "Das kann immer wieder passieren", meint Jochen Fischer, "man sieht ja, welche Kräfte wegen der Finanzkrise in Europa derzeit an die Macht kommen." Zeitzeugin Sonja Barthel fügt hinzu: "Wir müssen verstehen, warum all dieses Grauen geschehen konnte, und wir müssen dafür sorgen, dass es nie wieder geschieht. Wehret den Anfängen!"

www.geschichtswerkstatt-lueneburg.de