Ein 24-Jähriger muss sich wegen falscher Verdächtigung vor dem Amtsgericht Lüneburg verantworten

"Das sind meine Löcher", sagt Werner H., und tippt, umringt von Staatsanwältin und Richter mit dem rechten Zeigefinger auf ein Blatt Papier. "Ich tackere grundsätzlich oben links", sagt der Mitarbeiter der Bußgeldstelle des Landkreises.

Bei dem Stück Papier handelt es sich um einen sogenannten Anhörungsbogen, den die Landkreisverwaltung verschickt, wenn die Polizei jemanden ertappt hat, der mit seinem Auto zu schnell unterwegs war. Vor dem Amtsgericht Lüneburg ist Werner H. als Zeuge geladen. Er soll helfen aufzuklären, wer am Steuer des roten Opels saß, der im vergangenen August in Lüneburg schneller als erlaubt in eine Radarkontrolle gerauscht ist.

Auf der Anklagebank sitzt Moritz B., ein 24-Jähriger in grauem Strickpulli, Jeans und Segelschuhen. Der Student lebt in Uelzen zusammen mit seiner Freundin. "Auf mich läuft der Wagen, aber gefahren wird er von verschiedenen Leuten außer mir. Im letzten Sommer war Frau S. eine Woche bei uns zu Besuch, die ist auch mit dem Auto gefahren. Sie war einkaufen in Lüneburg."

Auf Nachfrage der Staatsanwältin erklärt er, Frau S. sei die Mutter seiner Freundin, außerdem sei die Beziehung zu seiner Freundin ernster, man habe sich vor kurzem verlobt. "Als ich nach Hause kam, hatte meine Freundin den Brief in der Hand. Wir haben drüber geredet und uns erinnert, dass zur fraglichen Zeit ihre Mutter zu Besuch war. Meine Freundin hat sie angerufen und ihre Mutter sagte so etwas wie 'vielleicht'. Jedenfalls hat mir meine Lebensgefährtin den Bogen ausgefüllt hingehalten und ich habe unterschrieben." Ein Foto habe er nicht zu sehen bekommen. Wenig später zeigte ihn seine Schwiegermutter in spe wegen falscher Verdächtigung an. Einen Strafbefehl wollte der junge Mann nicht akzeptieren und legte Widerspruch ein. "Es geht doch um Gerechtigkeit", sagt er mit einem Anflug von Trotz in der Stimme. Die ebenfalls geladene Frau S. ist nicht erschienen.

"Macht die Polizei immer Bilder?", will der Richter von Zeuge Werner H. wissen. "Wir bekommen einen Datensatz und Bilder, oft mehrere", sagt der 54-Jährige und nickt. Er habe den Bescheid van Moritz B. versandt und protokolliert. Wie seine Akte zeigt, lagen Bilder vor. Eines davon hat er auch mit dem Anhörungsbogen an den Angeklagten gesandt. Fest getackert oben links.

Die übrigen Bilder sehen sich der Richter, die Staatsanwältin und der Angeklagte mit seinem Verteidiger gemeinsam an. Moritz B. erkennt seine Freundin am Steuer des Wagens. "Wenn Sie das Foto nicht gesehen haben, hat es Ihnen vielleicht Ihre Freundin vorenthalten, weil sie sich erkannt hat?", mutmaßt die Staatsanwältin.

Der Verteidiger von Moritz B. besteht auf einen Freispruch für seinen Mandanten. Die Staatsanwältin lehnt ab. "Das Foto kann sich ja nicht dematerialisiert haben." Alle Parteien einigen sich auf einen neuen Termin.

Ob der Fall dann jedoch aufgeklärt wird ist fraglich. Denn die junge Frau, die am Steuer des Wagens saß, genießt als Verlobte des Angeklagten ein Zeugnisverweigerungsrecht. Ihre Mutter muss 600 Euro Ordnungsgeld zahlen und wird ein zweites Mal eingeladen. "Ob das alles wirklich gut ist für den Haussegen in der Familie?" fragt der Richter zweifelnd. Moritz B. zuckt mit den Schultern. "Ich hab mir nichts vorzuwerfen."