Kampfmittelräumer finden nach Alarm eine 30 Kilogramm schwere Rolle Stacheldraht, statt einer Bombe. Lüneburger können in ihren Wohnungen bleiben.

Lüneburg. Hannelore Hilse hatte ihre Tasche für den Notfall schon zurechtgelegt. "Meine Papiere und Bargeld, den Kulturbeutel und Wäsche hätte ich mitgenommen, wenn unser Haus evakuiert worden wäre", sagt die Anwohnerin der Straße Hohe Luft. Sie hatte den gestrigen Morgen mit ihrem Ehemann Wolfgang vor dem Radio verbracht. Gegen Mittag erfuhren sie, dass sie in ihrer Wohnung bleiben durften - und unternahmen kurzerhand einen Spaziergang zu dem Ort, an dem ein Blindgänger aus den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 vermutet worden war. Der Kampfmittelräumdienst fand jedoch nur verrosteten Stacheldraht.

"Wir haben an dieser Stelle eine Anomalie festgestellt", sagt Silvio Kunkel und zeigt auf ein 2,50 Meter tiefes Loch im Boden. Der Feuerwerker der Firma KMB Kampfmittelbergung aus Magdeburg ist im entstehenden Baugebiet Hanseviertel zuständig für die Suche nach Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg, die nicht explodiert sind und immer noch eine Gefahr darstellen. Dazu nutzt Kunkel eine Sonde, die das Erdmagnetfeld des Bodens untersucht. Falls das Eisen in einem größeren Metallteil im Boden die Strahlen ablenkt, schlägt der Pegel auf der Anzeige seines Messgeräts aus.

Kunkels Kollege Brian Zippel hatte mit einem Bagger ein etwa zwei Meter tiefes Loch ausgehoben, das mit 1,25 Meter hohen Aluminiumringen abgesichert wurde. Die letzten Zentimeter gruben Kunkel und Zippel sicherheitshalber per Hand ab. Denn bei dem am Dienstag aufgespürten Objekt hätte es sich um die Reste einer Fliegerbombe handeln können. Der Fundort liegt nur fünf Meter neben der von der Osthannoverschen Eisenbahnen genutzten Schienenstrecke, die im Norden der Stadt einen Bogen nach rechts macht, die Meisterstraße kreuzt und zur Theodor-Körner-Kaserne führt. Sie war als militärisch wichtige Verbindung häufig das Ziel alliierter Bomber gewesen.

Die Ergebnisse der Sondenuntersuchungen hätten zunächst darauf hingedeutet, dass sich ein böser Verdacht bestätigt habe, den alte Luftbilder geweckt hätten, sagt Daniel Steinmeier, Sprecher der Stadtverwaltung. "Hätte die Bombe am Fundort gesprengt werden müssen, wäre kurzfristig die Evakuierung aller Bewohner in einem Umkreis von einem Kilometer erfolgt." Vom Mittag an wäre die Bevölkerung über Lautsprecherdurchsagen, im Radio und auf der Internetseite der Hansestadt informiert worden. Doch dazu kam es nicht.

"Die Lüneburger Hundertschaft der Bereitschaftspolizei hatte sich für die Evakuierungen bereitgehalten", sagt Polizeisprecherin Wiebke Hennig. Seit es in Göttingen vor einem Jahr bei der missglückten Entschärfung eines Blindgängers Unfalltote gegeben habe, seien die Vorsichtsmaßnahmen erhöht worden. "Vor allem von alten Bomben mit Säurezündern geht immer noch eine sehr große Gefahr aus", sagt Hennig. Sie müssten in der Regel kontrolliert detonieren, während Blindgänger mit Aufschlagzündern oft in ihre Einzelteile zerlegt werden könnten.

Im Boden des Baugebiets am Meisterweg fand sich keine der beiden Bombentypen. Stattdessen stießen Kunkel und Zippel auf eine etwa 30 Kilogramm schwere Rolle Stacheldraht, die auf eine stählerne Brechstange aufgewickelt war. Dieser vermutlich aus der Zeit der letzten Bauarbeiten dort vor mehr als 80 Jahren stammende Schrott hatte die Sonde auf die falsche Fährte geführt. Die privaten Kampfmittelräumer untersuchten auch den Bereich um die rostigen Fundstücke nach einem verborgenen Blindgänger ab. Sie konnten aber nichts finden und damit zweifelsfrei feststellen, dass sich keine Bombe im Boden unter dem entstehenden Straßenweg entlang der Bahnstrecke befindet. "Wir haben um 11.40 Uhr den Einsatz abgebrochen", sagt Polizeisprecherin Wiebke Hennig.

"Gegen 12 Uhr bekamen wir einen Anruf, dass alles okay ist", sagt Stefan Pless, Leiter der Grundschule Lüne. Sie gehörte neben der benachbarten Kita Lüne sowie dem Sprachheilkindergarten St. Bonifatius und der Kita Brandheider Weg zu den kurzfristig geschlossenen Einrichtungen für Kinder im Sperrgebiet. Von den 234 Lüne-Grundschülern waren nur zwei gestern Morgen zum Unterricht erschienen. Ihre Eltern hatten zwar im Radio von dem außerplanmäßigen Schulausfall erfahren, mussten aber arbeiten.

Bis 13 Uhr nutzten die zwei Grundschüler daher das Angebot zur Ersatzbetreuung im Johanneum. Das Gymnasium an der Theodor-Heuss-Straße und das Schulzentrum Kaltenmoor liegen zwar außerhalb des Sperrgebiets, waren gestern aber ebenfalls geschlossen. Die Sporthallen und Flure wären nach einer Evakuierung als Ausweichquartier für die Bewohner benötigt worden.

Etwa 8000 Menschen aus den Stadtteilen Lüne-Moorfeld, Neu Hagen, Schützenplatz und Zeltberg wären von der Evakuierung betroffen gewesen. Zu ihnen zählt Rainer Nagel, Anwohner des Lüner Wegs. Er war erleichtert, als er erfuhr, dass es sich bei der vermeintlichen Bombe nur um Schrott handelte.