Bildung: Zu wenig Lehrer, zu viel Frontalunterricht - Professor Dr. Peter Struck über den Schulalltag

Mit "Snoezelen", einer Wortschöpfung aus "snuffelen" (schnüffeln, schnuppern) und "doezelen" (dösen, schlummern), benannten zwei niederländische Zivildienstleistende 1978 einen von ihnen erfundenen Entspannungsraum. Entspannt werden dort die Sinne: Man kann etwa - bequem liegend oder sitzend und umgeben von leisen Klängen - sanfte Lichteffekte betrachten. Dass Snoezelen-Räume in holländischen Bildungseinrichtungen längst etabliert sind, mag nur ein Grund dafür sein, dass die Niederlande in internationalen Bildungsvergleichen stets besser abschneiden als Deutschland. "In der Bundesrepublik fehlt vor allem eine Rhythmisierung des Unterrichts", sagte Professor Dr. Peter Struck am Montagabend in der Aula der Regionalschule. Und damit vermittelte der renommierte Erziehungswissenschaftler den knapp 200 Gästen: Rollenspiele, Bewegung, Musik und richtig dosierte Entspannungsphasen sind für Lernerfolge heutzutage wichtiger als die geballte Wissensvermittlung.

Schulleiterin Karin Beate Heidrich-Johns und Jörg Wischermann aus dem Landeselternbeirat fanden es wichtig, dass Struck so kurz vor der Umwandlung der Regionalschule in eine Gemeinschaftsschule noch einmal vor Lehrern und Eltern über die jüngsten Erkenntnisse aus der Hirnforschung referierte. Die Idee fand auch beim Schulverein regen Anklang. Er sponserte die Veranstaltung.

"Die Hirnforscher haben nachgewiesen, dass Jungen hauptsächlich über ihr Tun lernen, nicht über das Zuhören", so Struck. Wenn man den herkömmlichen Frontalunterricht beibehalte, bevorzuge man die Mädchen, die besser über das Zuhören lernten. Eine Generation, die durchschnittlich neun Stunden pro Woche vor dem Computer verbringe, könne aber generell schon nicht mehr so gut zuhören. "Dafür ist sie in den Naturwissenschaften deutlich leistungsfähiger, vor allem die Jungen", ließ er das erstaunte Publikum wissen. Dass dieses Potenzial in Deutschland oft ungenutzt bleibe, liege an der Art des Unterrichts. "Er ist kaum jahrgangs- und fächerübergreifend, die Kontinuität des Lehrpersonals ist wenig gegeben und die Schüler dürfen sich in viel zu geringem Maße gegenseitig etwas beibringen." Dafür setze Deutschland auf Lehrpläne.

"Wir haben die dicksten Lehrpläne der Welt. Trotzdem hinken wir hinter Finnland her, das die dünnsten Lehrpläne der Welt hat." Außerdem sei durch das Sitzenbleiben und die frühe Notengebung die Beschämungs- und Trennungskultur in den deutschen Schulen immer noch stark ausgeprägt. Dabei müssten die Kinder heutzutage in ihren Kompetenzen, sich selbst zu helfen, gestärkt werden. "Aber in Deutschland reden die Lehrer zu viel und die Kinder hören zu viel zu." Zu glauben, 14-Jährige und Ältere würden heute noch etwas von Erwachsenen lernen, sei utopisch. "Auch das haben die Forscher nachgewiesen: Pubertierende lernen vor allem von Gleichaltrigen." So müssten die Einflüsse durch die Lehrer in jüngeren Jahren einsetzen und im Ganztagsunterricht. Denn nachmittags sei die beste Zeit, um etwas zu lernen.

Struck zeigte anhand von Videos, dass es auch anders geht: In der Schweiz etwa in der Primarschule "Primaria" für Vier- bis Achtjährige, in der die Schüler weitgehend selbst bestimmen, was sie lernen. Und auch eine Schule in Dortmund-Nord, die 80 Prozent Migrantenanteil hat, setzt auf Gruppenarbeit. Der Professor räumte ein, dass für gemeinsames Lernen auch mehr Lehrer bereitstehen müssten: "Sie müssen nicht besser bezahlt werden. Aber sie müssen im Unterricht da sein und den Schwächeren gezielt helfen." Er sehe allerdings derzeitig nicht die politische Bereitschaft für die Aufstockung des Personals an Schulen.

Elternbeirat Wischermann und Schulleiterin Heidrich-Johns sprachen von "Mängelverwaltung". Heidrich-Johns: Ist das ganze Personal einsatzbereit, komme man zurecht. "Aber wehe, es wird mal einer krank." Dann werde es an jeder Schule eng. Wenn dann mehr als 29 Kinder auf einen einzelnen Lehrer kämen, hält Struck das für inakzeptabel.