Schwarzenbek. Das Polizeisiegel an der Wohnungstür ist entfernt. Polizei und Gericht haben die Zweizimmerwohnung freigegeben. Hier starb am 10. August ein alleinstehender Mann im Alter von 62 Jahren. Erschreckend: 49 Tage lang hat den Verstorbenen niemand vermisst. Den leicht süßen, aber beißenden Geruch, der immer noch in der Wohnung hängt, hat kein Bewohner des Mehrfamilienhauses Beachtung geschenkt.
30 Prozent ihrer Fälle sind Mord oder Selbstmord
Was zunächst unbegreiflich klingt, ist für Dirk Plähn (47) und Dietmar Felsen (45) von der Tatortreinigung Nord Tagesgeschäft. Wenn das staatlich geprüfte Desinfektoren-Duo zum Einsatz gerufen wird, erwartet sie grundsätzlich nie Gutes. In 60 Prozent der Fälle sind die Menschen zwar an einer natürlichen Todesursache – wie der 62-jährige Schwarzenbeker – gestorben, ihr Ableben blieb aber häufig längere Zeit unbemerkt. In 30 Prozent ihrer Einsätze beseitigen sie die Spuren eines Mordes oder Suizides, bei zehn Prozent entsorgen sie sogenannte Messie-Wohnungen.
Sterbliche Überreste gelten als Sondermüll
Der Tod hinterlässt seine Spuren: Je nachdem, in welcher körperlicher Verfassung der Verstorbene war, können Felsen und Plähn mit bis zu 120 Litern organischer Flüssigkeit und Geweberesten am Tatort rechnen. Häufig sind Körperflüssigkeiten in die Böden gelaufen.
Zum Glück nicht am Schwarzenbeker Einsatzort: Hier müssen die beiden vor allem Fliegen und Käfer, die mittlerweile die Wohnung bevölkern, entfernen. Für die Spezialisten kein Problem. Schließlich haben sie genug Erfahrung. „Die Körperflüssigkeiten und Gewebereste werden gesetzlich als Sondermüll eingeordnet und müssen dementsprechend entsorgt werden, da sonst ein Gesundheitsrisiko für alle besteht, die damit in Berührung kommen“, erklärt Dietmar Felsen.
Man darf nichts von den Eindrücken mit nach Hause nehmen
Neben luftdichten Behältnissen, in die organische Substanzen hineinkommen, gehören spezielle Chemikalien zu r Standardausrüstung eines jeden Tatortreinigers. Aber auch der Selbstschutz ist wichtig: Bei ihrer Arbeit tragen sie immer Ganzkörperschutzanzüge, Gummistiefel und dichtanliegende Atemschutzmasken. Zimperlich zu sein, das können sie sich einfach nicht erlauben. „Früher konnten wir beide kein Blut sehen, heute ist das kein Problem mehr für uns. Man darf nichts von den Eindrücken mit nach Hause nehmen“, erklärt Dietmar Felsen, der übrigens früher Bankkaufmann war. Dirk Plähn, der die Firma 2010 gründete, war vorher als Energie- und Anlagenelektroniker tätig.
Die Idee kommt aus den USA
„Dirk hatte die Idee, sich als Tatortreiniger selbständig zu machen, aus einem USA-Urlaub mitgebracht. Dort gibt es im Gegensatz zu Deutschland viele Menschen, die sich auf diese Arbeit spezialisiert haben. In Deutschland gibt es nur rund zehn derartige Firmen“, weiß Felsen. Einen Ausgleich zum Job haben beide: Plähn treibt viel Sport, Felsen ist als TV-Komparse tätig. „Irritiert ist eigentlich niemand über unseren Beruf, die meisten finden es sogar sehr spannend“, erzählt Dirk Plähn.
Allerdings fordert die Arbeit auch ihren Tribut: Marabou, die einstige Lieblingsschokolade von Plähn, kann der 47-Jährige seit einem besonders blutigen Einsatz nicht mehr essen. „Ihr Geruch erinnert mich seitdem an geronnenes Blut“, sagt Plähn. Auch Felsen hat einen leichten Tick: Er mag keinen Einkaufswagen anfassen, ohne zuvor den Griff desinfiziert zu haben.
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