Gut Lanken: Parteiprogramme sind für viele Menschen mit Handicap zu kompliziert

"Juhu, wählen!", ruft Sinja und stürmt in das Wahllokal. Kathrin, Dennis, Maren, Robert und Samuel folgen ihr. Die sechs jungen Leute wohnen und arbeiten zusammen auf Gut Lanken und wollen heute gemeinsam mit Wohngruppenleiterin Silke Schawe in Elmenhorst wählen gehen. "Muss ich das hier vorzeigen?" fragt Sinja am Wahlhelfertisch und hält die Wahlbenachrichtigung hoch. "Ja", sagt Schawe, die die Benachrichtigungen und Personalausweise ihrer anderen Schützlinge bereit hält, und die 24-Jährige bekommt ihren Wahlschein. Eine Minute später steckt sie ihren Stimmzettel freudestrahlend in die Wahlurne.

Nicht für alle läuft es so glatt. Bei einem 24-Jährigen stellt sich heraus, dass er nicht wählen darf. "Vielleicht habe ich etwas ausgefressen", meint der kräftige Blonde verunsichert. Das kann sich die Wohnheimleiterin nicht vorstellen. "Es kann daran liegen, dass er eine volle Betreuung hat", vermutet Schawe. Weil er einer derjenigen ist, die sich im Vorwege besonders für die Wahl interessiert haben, will sie das noch mit seiner gesetzlichen Betreuerin besprechen und ihm später erklären.

In den Hausgemeinschaften auf Gut Lanken leben und arbeiten rund 70 Menschen mit einem erhöhten Betreuungsbedarf zusammen mit festen Betreuern in einer familienähnlichen Struktur. Die Mitarbeiter sorgen für einen geregelten Tagesablauf, für die Betriebsführung der Hausgemeinschaft und für die Pflege der häuslichen Kultur. Auch den politischen Willensbildungsprozess haben sie begleitet. Silke Schawe und ihre Kollegen haben sich die Parteiprogramme in leichter Sprache besorgt und mit den Bewohnern besprochen. Alle, die heute wählen gehen, haben eine klare Meinung, welche Partei weiterkommen soll. Zufrieden ist Schawe trotzdem nicht. "Die Programme in leichter Sprache ändern nichts daran, dass Politik kompliziert ist, und sie sind für unsere Bewohner einfach noch zu schwer", meint sie. Auch für sie seien die Formulierungen nicht immer verständlich gewesen. Und: Es werde nicht klar, welche Parteien konkret etwas für Behinderte tun und welche nicht. "Dafür ist zu viel von "könnte" und "müsste", die Rede."

Manche der Betreuten haben sich auch am "Wahl-O-Mat" im Internet versucht. Einigen, wie Jana, Dennis und Kathrin, die in eigenen Wohnungen in der Außenwohngruppe in Schwarzenbek lernen, ihren Lebensalltag eigenständig zu gestalten, ist dies auch gelungen. Doch auch den interaktiven Wahlhelfer, der mit den Kernaussagen aus den aktuellen Wahlprogrammen arbeitet, findet Silke Schawe verbesserungswürdig. Begriffe wie "Ehegattensplitting" oder "Nato" sollten dort weiter erklärt werden. "Barrieren bestehen eben nicht nur aus Stufen", meint sie