SHMF: Dem Litauischen Feuerwerk fehlte es an Temperament

Die Erwartung war ausgesprochen hoch: Auf dem Programm ein Feuerwerk aus Variationswerken der russischen Romantiker, auf der Bühne Tonkünstler, die dem Länderschwerpunkt des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) alle Ehre machen soll(t)en - der Este Kalev Kuljus (Oboe) und Vytautas Sondeckis (Violoncello) als Solisten, beide seit vielen Jahren Mitglieder im NDR-Sinfonieorchester, begleitet vom Lithaunian Chamber Orchestra aus Vilnius. Dazu am Dirigentenpult der gebürtige Litauer, Rostropowitsch-Schüler und seit Jahrzehnten einer der besten Cellisten und Cello-Pädagogen Deutschlands, Professor David Geringas.

Vielleicht waren es die Sommerhitze und die Strahlerrampen, die die SHMF-Bühne der Wotersener Reithalle mit Luft "zum Umkippen" erfüllten: Das Gastspiel der Litauer, das eine fesselnde Ladung an Temperament und Expression vermuten ließ, fiel nicht so hitzig aus.

Von den ersten Takten der Variationen über ein Tschaikowsky-Thema von Anton Arensky setzten Geringas und das Kammerorchester auf sachlich-akademische Wiedergabe. Das gesamte Werk voller typischer, teils poetischer, teils mitreißender Tschaikowsky-Wendungen, mit kompositionstechnischen Raffinessen von Arensky garniert, wirkte zwar schön, aber lauwarm.

Mit wunderschönem Klang seiner Oboe realisierte Kalev Kuljus den Solopart der Variationen über ein Glinka-Thema von Rimsky-Korsakoff. Ein selten zu hörendes, originelles und dennoch "merkwürdiges" Werk, eine sehr frei gehaltene Mischung aus virtuosen Passagen samt Kadenz, von dem einst für militärische Blaskapellen im Zaren-Russland zuständigen Rimsky-Korsakoff streckenweise karg orchestriert. Die rund 700 Zuhörer erlebten auch hier eine brave, jedoch nicht mitreißende Interpretation.

Wahre Freude bereitete der Höhepunkt des SHMF-Abends in Wotersen: die Rokoko-Variationen für Violoncello und Streichorchester von Tschaikowsky. Temperamentvoll und virtuos realisierte Vytautas Sondeckis den Solopart, spürbar berührt.

Der NDR-Cellist und hochkarätige Musiker wurde von jenem Kammerorchester begleitet, das ihm in seiner Kindheit zum Inbegriff des Orchesters wurde: 1960, damals in der sowjetischen Republik Litauen, hat sein Vater Saulius Sondeckis das Lithuanian Chamber Orchestra gegründet und dieses bis 2004 als Chefdirigent erfolgreich geleitet. So legten die Litauer eine beeindruckende Interpretation der Rokoko-Variationen hin, einfühlsam von David Geringas dirigiert, der die Variationen in seiner Cellisten-Kariere hundertfach auf allen Konzertbühnen der Welt gespielt hatte. Lang anhaltender, tosender Beifall.

Die nächste "Enttäuschung" nach der Pause: Statt der im SHMF-Programm angekündigten und beliebten "Bilder einer Ausstellung" von Mussorgsky in Orchesterversion, die gewiss einen Teil der Zuhörer nach Wotersen lockte, gab es eine Programmänderung - die 5. Sinfonie B-Dur von Franz Schubert.

Die facettenreiche, erstklassige Interpretation der Sinfonie, die Schubert als 19-Jähriger komponiert hatte, kompensierte den Mussorgsky-Ausfall gebührend.

Bis zum krönenden Allegro vivace steigerten Geringas und das Orchester die Spannung, vom leicht intonierten Allegro über romantisch angehauchtes Andante con moto und ein graziös-elegantes Menuetto. Mit dem Schubert-Werk bewies das Orchester aus Vilnius einmal mehr seine international anerkannte, hohe Form und seine Vorliebe zum Repertoire mit höchstem Anspruch.