Taksim-Platz: Saziye von Appen berichtet aus Istanbul

Bei den Protesten, die sich auf das ganze Land ausgebreitet haben, geht es längst nicht mehr nur um den Park, sondern um grundlegende Missstände.

Mittendrin im Geschehen in Istanbul sind Saziye und Helge von Appen aus Schulendorf. Der Vorsitzende des Vereins Sicheres Wasser (SiWa) und seine Frau besuchen jedes Jahr im Sommer Verwandte in der türkischen Großstadt.

"Wir nehmen an den Demonstrationen teil, weil wir der Meinung sind, dass wir genug Einkaufszentren haben, aber nicht genug Parks. Der Taksim ist sehr wichtig für die Istanbuler. Wir feiern hier vieles, zum Beispiel den 1. Mai, Fußball-Meisterschaften oder den Gewinn des Grand Prix", sagt Saziye von Appen. Die gebürtige Türkin lebt seit 20 Jahren in Deutschland, ist ihrer Heimat aber weiter sehr verbunden. Aus Istanbul hält sie jetzt per Facebook und Smartphone den Kontakt nach Deutschland.

Uns berichtet sie, dass sich in der Nähe des Parks auch ein Atatürk-Kulturcenter befindet, das ebenfalls abgerissen werden soll. Auch das wollen die Demonstranten verhindern. Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) gilt als Gründer der modernen türkischen Demokratie.

Tausende aus allen Schichten der Bevölkerung gehen deshalb seit acht Tagen auf die Straße und viele bekamen die Brutalität der Polizei am eigenen Leib zu spüren. Die Polizisten hätten wie gegen Feinde gekämpft und keine Gefühle gezeigt, berichtet Saziye von Appen. Das sei nicht nur in Istanbul so, sondern auch in kleinen Städten. Eine Frau sei von fünf bis sechs Polizisten zusammengeschlagen worden, andere erlitten durch den Strahl der Wasserwerfer Knochenbrüche, so die Schulendorferin. Doch die Menschen blieben bei ihren Protesten und übernachteten inzwischen auch auf dem Taksim-Platz. Erdogan hat die Demonstranten abwertend als "Plünderer" und "Verbrecher" bezeichnet. Jetzt machen die Menschen bei den Demos vor den Polizeiwachen halt, tanzen, singen die Nationalhymne und rufen im Sprechchor: "Ich bin ein Verbrecher, weil ich demonstriere". Eine Frau hielt einen Zettel in der Hand: "Hausfrau und Verbrecher".

Saziye von Appen meint, dass die Regierung die meisten türkischen Medien im Griff hat. Sie würden kaum über die Proteste berichten. Deshalb sei auch kaum bekannt, dass die Unruhen schon am 1. Mai begonnen haben. Die Regierung hatte an diesem Tag die Mai-Demonstration am Taksim-Platz verboten und den gesamten öffentlichen Transport in der Stadt gestoppt.

In diesen Tagen nutzen die Menschen das Internet und soziale Netzwerke, um Nachrichten auszutauschen. Allerdings gebe es oft keinen Internetempfang und das Telefonieren ist oft nicht möglich. Solange Saziye und Helge von Appen in der Türkei weilen, wollen sie weiter an den Demos teilnehmen.