Bergedorf. Mittlerweile ist Ingeborg Spanner verzweifelt. Dabei wünscht sich die 81-Jährige aus Lohbrügge bloß einen Untersuchungstermin beim Arzt, weil ihre Augen seit Wochen tränen.

"Ich habe sämtliche Augenärzte in Bergedorf angerufen, aber keiner will mehr neue Patienten aufnehmen, falls es sich nicht um einen Notfall handelt. Die sind so kaltschnäuzig und abgebrüht, das ist unverschämt" , ärgert sie sich. Und vermutet, dass Privatpatienten ein besseres Los ziehen: "Wenn man arm ist, muss man früher sterben. Der Satz gilt wohl bis heute. Ja, leben wir denn hinter dem Mond?", fragt sich die alte Dame, der frühestens im Juni ein Termin angeboten wurde.

Wir machten den Test und riefen ebenfalls bei den Bergedorfer Augenärzten an: Tatsächlich gilt ein unbefristeter Aufnahmestopp für Neupatienten. "Unser Doktor kommt mit dem Behandeln sonst nicht hinterher", heißt es etwa in der Praxis von Dr. Rudolf Platzer am Edith-Stein-Platz. Ähnlich sieht es in den Praxen von Dr. Dieter Rothmann (Hude 2) und Dr. Joachim Kienast im CCB aus. Hier wird mit Bedauern mitgeteilt: "Die Ärzte haben im Moment genug zu tun." In der Augenarztpraxis von Michael Morszeck und Jörg Altrogge am Weidenbaumsweg 2 kann man ohne Absprache vorbeischauen und sich ins Wartezimmer setzen - allerdings auch nur, wenn der Fall akut ist. Termine gibt es hier erst wieder ab Ende Mai.

Barbara Heidenreich, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), weiß, dass es "nur sehr späte Termine" gibt. Das sei jedoch keine böse Absicht, sondern hänge auch damit zusammen, dass die Hamburger Bedarfsplanung nicht berücksichtigt, dass gerade in Bergedorf auch viele Patienten aus Schleswig-Holstein Hilfe suchen. Nur auf die Hansestadt indes bezogen bestehe ein Versorgungsgrad von 109 Prozent, denn gerechnet wird, dass für 13 177 Einwohner ein Augenarzt zuständig ist. Von den insgesamt 147 Hamburger Augenärzten haben sich immerhin acht in Bergedorf niedergelassen, verteilt auf vier Praxen.

"Man hört häufig, dass es zu wenige Augenärzte gebe. Das liegt aber auch daran, dass sie sich niederlassen dürfen, wo sie wollen", meint Sandra Wilsdorf, Pressesprecherin der Ärztekammer Hamburg: So komme es, dass etwa in Othmarschen mehr Ärzte zu finden sind als in einem ärmeren Stadtteil, in dem weniger Privatpatienten zu vermuten sind. "Die Ärzte müssen sich aber ja so organisieren, dass sie auch Zeit für ihre Patienten haben. Wer also erst im Juni einen Termin angeboten bekommt, sollte sich lieber in die S-Bahn setzen und in einem benachbarten Stadtteil einen Arzt aufsuchen. Das ist durchaus zumutbar", meint Wilsdorf.

Und so lohnt sich tatsächlich ein Anruf im Bergedorfer Umkreis: In der Billstedter Praxis von Dr. Olaf Müller an der Oskar-Schlemmer-Straße etwa gibt es selbst in der kommenden Woche noch problemlos Termine. Auf Anfrage wurde uns prompt der Dienstag, 9.15 Uhr, angeboten.