Oststeinbek (sab). “Genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich“, hatten Soldaten zu Ruth Buntkirchen gesagt, als ihre Heimatstadt Königsberg unter Beschuss stand. Sie sollten Recht behalten: Die damals 18-Jährige wurde von ihrer Familie getrennt und in einem Viehwaggon nach Russland deportiert.

"Dass ich nicht gestorben bin, ist für mich ein großes Wunder", sagt die Wahl-Oststeinbekerin, die erst 1955 aus der Gefangenschaft zurückkehrte. "Das gestohlene Jahrzehnt" hat sie dieses Kapitel ihres Lebens genannt, das bald für jedermann nachzulesen ist. Am 3. April stellt die 82-Jährige ihr 290 Seiten starkes Buch in der Friedenskirche in Jenfeld vor.

Als die Russen Königsberg, das heutige Kaliningrad, einnahmen, wurden die Leute aus ihren Häusern gejagt, in Fünfer-Kolonnen mussten sie Richtung Osten marschieren, erinnert sie sich. Von ihrem Vater fehlte jede Spur. "Er wird wohl erschossen worden sein", vermutet sie. Mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester Hildegard, die heute auch in Oststeinbek lebt, kam sie zunächst ins Gefängnis, darauf in ein Internierungslager mit 7000 Insassen, später dann allein ins Arbeitslager. Im Viehwaggon ging es nach Archangelsk, einer Hafenstadt in Nordrussland. "Als wir dort ankamen, waren wir vor Hunger so klapprig, konnten kaum laufen." Im Lager musste die junge Frau Bäume fällen und Häuser bauen. Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen, habe am Eingangstor gestanden. "Dort hat man mehr geschuftet, als mancher verkraften konnte."

Erst nach fünf Jahren in mehreren Lagern wurde sie entlassen, durfte aber immer noch nicht nach Hause und wurde stattdessen mit ihren Landsleuten nach Josser geschickt. Dort lebten sie wie die Einheimischen, durften die Stadt aber nicht verlassen. "Wir gehörten da einfach nicht hin", sagt Ruth Buntkirchen, die unter den 32 Deutschen im Ort ihren späteren Mann kennenlernte. Im Jahr darauf wurde der gemeinsame Sohn Wolfgang geboren. "Irgendwann kamen dann die Männer mit ihren Aktentaschen." Das Paar sollte die russische Staatsbürgerschaft annehmen, weigerte sich aber. Bald darauf bekamen sie stattdessen die lang ersehnten Ausreisepapiere. Zehn Jahre nach der Kapitulation kehrte Ruth Buntkirchen im April 1955 nach Deutschland zurück. Ihre Heimat Königsberg war unwiderruflich verloren, aber mit ihrer Familie fand sie in Hamburg und später in Oststeinbek eine neue.

Gewalt sei ihr wie so vielen Frauen und Mädchen auch angetan worden. Doch dieses Kapitel will sie nicht aufschlagen. Alles, was sie erlebt habe, sei schrecklich gewesen. "Ich konnte lange nicht darüber sprechen", sagt Ruth Buntkirchen. Ihre letzten Tränen habe sie jedoch vergossen, als sie an dem Buch arbeitete. "Dadurch, dass ich das aufgeschrieben habe, bin ich heute so frei und habe keine Albträume mehr."

* Die Buchpräsentation am Freitag, 3. April, in der Friedenskirche Jenfeld, Görlitzer Straße 12, beginnt um 18 Uhr.