Von Timo Jann

Geesthacht.
Der Schock war groß, als sich ein Mädchen aus Geesthacht und dessen Freundin aus Billstedt im Juni dieses Jahres der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anschlossen. Der Vater von Ece B. (18) brachte sich aus Verzweiflung in seiner Wohnung um. Hunderte trauerten, konnten nicht verstehen, was die Schülerin bewogen hatte, das Elternhaus zu verlassen.

Die CDU hatte sich direkt nach dem Zwischenfall mit einer offiziellen Anfrage zum Thema "Nachwuchsgewinnung des IS" an die Behörden gewandt. "Wir wollten wissen, wie die Organisation hier Nachwuchs anwirbt und was dagegen getan wird", erklärt der Fraktionsvorsitzende Sven Minge. "Die Geesthachterin, die angeblich über die Türkei nach Syrien gereist ist, schien voll integriert zu sein." Die CDU interessierte, wie Behörden junge Menschen über den IS aufklären. Jetzt liegen Minge die Antworten der Stadt und des Kieler Innenministeriums vor. Minge: "Die Behörden haben sich sehr intensiv mit der Anfrage befasst. Wir müssen jetzt alles daransetzen, mittels Aufklärung zu verhindern, dass der IS bei uns seinen Nachwuchs organisiert. Dadurch darf es aber nicht dazu kommen, dass für den IS auch noch Werbung gemacht wird."

Tatsächlich ist es so, dass das Hamburger Randgebiet für die "Missionierungsarbeit" der salafistischen Szene ein bevorzugtes Betätigungsfeld ist. Das Hamburger Randgebiet nennt Björn Goos vom Kieler Innenministerium "eines der Zentren salafistischer Aktivitäten in Schleswig-Holstein".

Aktuell liege die Zahl der Anhänger der salafistischen Szene in Schleswig-Holstein bei 240 Personen, viele davon lebten im Hamburger Speckgürtel. Auch Ece B. war über solche Kontakte, die sie im Internet vertiefte, in die Szene geraten und hatte sich heimlich auf den Weg nach Syrien gemacht. Zu ihrer aktuellen Situation ist nichts bekannt. Bundesweit sind 7300 Menschen in der salafistischen Szene, vor vier Jahren waren es nur 3800. "Die steigende Zahl der Anhänger, auch wenn sie nur lose Kontakte haben, erfüllt mich mit Sorge", sagt Minge.

Auf die CDU-Frage, ob es in der Metropolregion Institutionen gebe, die Rekrutierungen junger Menschen für den IS gezielt vorantrieben, antwortete Goos, dass den Verfassungsschutzbehörden derzeit keine konkreten Erkenntnisse darüber vorlägen. Auch Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen im Land gebe es nicht, so Goos.

Das Innenministerium tauschte sich für die Antwort auf die CDU-Anfrage unter anderem mit dem Verfassungsschutz und dem Bildungsministerium aus, denn Minge wollte auch wissen, wie vorbeugend gearbeitet wird, um junge Menschen vor den Versprechungen des IS zu warnen. "Noch in diesem Jahr werden in Zusammenarbeit mit dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen die ersten Schulungen für Lehrkräfte und pädagogisches Fachpersonal an Schulen sowie in Jugendorganisationen zum Umgang mit interkultureller Vielfalt und religiös motiviertem Extremismus angeboten", schreibt Goos in der Antwort. Und: "Es gilt, die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und vor Ort zu beobachten." Wenn auffällige Veränderungen im Verhalten der Mitmenschen beobachtet werden, die im Zusammenhang mit Radikalisierungstendenzen stehen könnten, sollte man Kontakt zur Koordinierungsstelle "PROvention" aufnehmen, die telefonisch unter der Nummer (04 31) 9 88 34 34 zu erreichen ist.

Die Jugendpfleger im Kreis werden sich noch in diesem Herbst ebenfalls mit dem Thema beschäftigen. In Geesthacht war bereits ein Mitarbeiter der Jugendpflege aus Billstedt zu Gast. Dessen Arbeitsgebiet gilt als Hochburg für die salafistische Bewegung. Merve S. (17), mit der Ece B. nach Syrien ging, stammt aus Billstedt.

Im Rahmen des Förderprogramms "Toleranz fördern - Demokratie gestalten" ist in Geesthacht ein Präventionsprojekt für Schulen und Jugendeinrichtungen geplant. Minge: "Es ist gut, dass man sich dem Thema zugewandt hat, bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass da etwas getan würde." Man dürfe nicht aus den Augen verlieren, dass die Gewalttaten des IS eine der Ursachen für die Flüchtlingsströme seien.