Von Kim Nadine Müller und Jan H. Schubert

Geesthacht.
Seit 1987 ist Nina Scheer (43) SPD-Parteimitglied. Die politische Karriere der gebürtigen Berlinerin, die vor ihrer Promotion als Politikwissenschaftlerin bereits erfolgreich Musik und Jura studierte, führte sie im Jahr 2013 in den Bundestag. Zum Auftakt unserer Interview-Serie mit den Spitzenpolitikern aus dem Kreis bezieht die Wahl-Geesthachterin nicht nur Stellung zu aktuellen Themen, sondern berichtet auch über ihre spezielle Leidenschaft zu einem bestimmten Musikinstrument.

Frau Scheer, Sie haben vor Ihrem Jurastudium bereits ein Musikstudium mit dem Hauptfach Violine erfolgreich absolviert. Warum hat es für eine Karriere als Berufs-Violinistin nicht "gereicht"?

Nina Scheer:

Das war keine Frage des Nicht-Reichens. Ich habe nach einer anderen beruflichen Identität gestrebt und das auch schon vor und parallel zum Musikstudium. So kam es zum Jurastudium und der Promotion in Politikwissenschaft. Musik hat aber in meiner Kindheit einen so großen Raum eingenommen, dass daraus ein Studium und dann eben auch professionelles Musizieren erwuchs.

Wie häufig kommen Sie heute noch zum Spielen?

Aktuell komme ich nicht dazu. Ich hoffe aber, über ein Kammermusikensemble wieder den Dreh und dann auch die Zeit zu finden.

Sie sind Mutter einer Tochter. Wie vereinbaren Sie Kind und Karriere, und was muss sich in Deutschland noch ändern, um Mutterschaft und Beruf besser vereinbaren zu können?

Um Karriere geht es dabei nicht. Die Vereinbarkeit ist natürlich eine Herausforderung. Auch für mich. Selbstredend braucht eine Gesellschaft verlässliche und gute Kinderbetreuungseinrichtungen. Bereits früh war meine Tochter in der Kita und besucht heute ein Internat - auf eigenen Wunsch. Die Betreuung von Kindern in Kitas ist aber auch pädagogisch wichtig, unabhängig von der beruflichen Einbindung der Eltern. Bundesweit gesehen muss insbesondere der Beruf der Erzieher aufgewertet werden. Ein gutes Betreuungsangebot bietet unseren Kindern und unserer Gesellschaft große Chancen.

Große Chancen werden auch Ihrem Parteikollegen Olaf Schulze bei der Bürgermeisterwahl in Geesthacht eingeräumt. Warum ist er der richtige Mann für das Amt?

Er hat die richtigen politischen Antennen und Ideen für die Stadt. Davon bin ich fest überzeugt. Er kennt jeden Winkel Geesthachts, führt die für die Stadtentwicklung relevanten Perspektiven zusammen und geht dabei sehr verantwortungsbewusst und besonnen vor: keine Schnellschüsse. Er hat enorm viel politische Erfahrung. Der Umgang mit Menschen, aber auch Gremienarbeit liegen ihm.

Wechseln wir auf höhere Machtebenen: Wer ist der geeignete Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, um 2018 gegen Angela Merkel anzutreten? Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerungen von SH-Ministerpräsident Torsten Albig?

Ersteres wird die Zukunft zeigen. Die SPD wird aber ohne Zweifel einen Kanzlerkandidaten haben und auch brauchen. Wir gehen nicht als Koalitionspartner, sondern als Volkspartei und mit einer sozialdemokratischen Programmatik in die Wahl, für deren Umsetzung nach einer Wahl alle vertretbaren Regierungsoptionen offenstehen müssen.

Wie schafft man es, als Bundestagsabgeordnete für die Themen des eigenen Wahlkreises in Berlin Gehör zu finden? Zum Beispiel beim Stichwort Umgehungsstraße?

Bei unzähligen von dem bayerischen Bundesverkehrsminister in seinem Bundesland bewilligten Straßenbauvorhaben verwundert es nicht, dass die Umgehungsstraße Geesthacht und der nun endlich im Mai erteilte Gesehenvermerk zuvor verantwortungslos verschleppt wurden. Aber immerhin: Nach aufwendigem Schriftverkehr ist nun schon mal der Vermerk da. Hartnäckigkeit lohnt sich.

Brauchen wir endlich ein Einwanderungsgesetz? Wie könnte das aussehen?

Ja. Sinnvoll ist ein Einwanderungsgesetz, das den Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt und hieran anknüpfende Einwanderung erleichtert. Ich denke allerdings, dass es nicht auf ein Abwerben ausländischer Fachkräfte angelegt sein darf, deren Weggang dann in den Herkunftsstaaten Mangel erzeugt. Die Einwanderungsfrage ist aber zu trennen von der Flüchtlings- und Asylpolitik. Zwar sollte ein Einwanderungsgesetz bewirken, dass auch bereits als Flüchtlinge in Deutschland angekommene Menschen in ein Einwanderungsverfahren wechseln können. Ein Einwanderungsgesetz kann aber nie das Asylrecht und die für uns hieraus resultierende Hilfspflicht ersetzen. Einwanderungsrecht reagiert auf inländische Bedarfe und nicht auf humanitäre Hilfspflichten.

Noch ein aktuelles Thema: Wie sollte Deutschland mit Whistleblowern umgehen?

Es sollte zu unserem Selbstverständnis zählen, Leistungen von Menschen, die ihrer Zivilcourage und einem gesunden Rechtsempfinden zuzurechnen sind, wertzuschätzen - auch in Form von politischem Asyl und öffentlicher Anerkennung.

Zum Schluss noch dieses: Mit welchem Ihrer Kreiskollegen sitzen Sie am liebsten im Zug Richtung Berlin - und warum?

Da möchte ich keine Wertung vornehmen. Ich schätze meine Kollegen - jeden auf seine Art. Häufig ist es übrigens so, dass man sich erst beim Aussteigen entdeckt. Der Zug ist dann eher ein Lesesaal.