Von Jan H. Schubert

Geesthacht.
Zuerst dachte René Albers an einen Scherz. Seine Arbeitskollegin lag rücklings im Heu und lachte auch - eine Übersprungshandlung. Denn Janina Marzowka verspürte starke Schmerzen, hatte sich bei der Arbeit einen Hexenschuss zugezogen und konnte nur mit Hilfe vom Kollegen aufstehen. Doch zum Arzt wollte Janina Marzowka nicht, bis sie von Dritten dorthin beordert wurde. "Ich war froh, als ich danach wieder arbeiten konnte", sagt sie heute.

Marzowka (25) und Albers (24) waren bis vor vier Jahren noch direkt in einer Arbeitsgruppe in den Geesthachter Werkstätten (siehe Kasten) tätig. Heute werden sie von dort pädagogisch betreut, arbeiten aber im Reitstall Hohenhorn, der "Ausgelagerte Arbeitsplätze" anbietet. Betreuer Oliver Penns erklärt: "Sie erhalten ein Entgelt und soziale Absicherung von den Werkstätten, darüber hinaus Grundsicherung vom Grundsicherungsamt."

Bürsten, füttern, Stall ausmisten und Heu machen statt Montage- und Packarbeiten in den Werkstätten: Beide wollten den Absprung aus der Einrichtung. Während der lernbehinderte René Albers der Mann fürs Grobe ist ("Ich mag körperliche Arbeit"), ist Marzowka für die Unterhaltung verantwortlich. Und sie redet viel: "Ich kann Leute zur Verzweiflung bringen", weiß Marzowka, "habe aber ein Gespür für Pferde, merke, wenn die was haben." Ihr entgeht nicht, wenn eins der Tiere am Vortag sich erschrocken hat und nicht anfassen lässt. "Diese Gabe hat Gott mir gegeben." Ansonsten hat es das Schicksal nicht gut mit ihr gemeint: Sie leidet an der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS).

Kurios: Ihre Störung ist zugleich auch ein Geschenk. Denn Angst vor Pferden, so etwas kennt die Frau nicht. "Janina redet die ganze Zeit und ist keine, die sich anschleicht", weiß Penns. Aus einem zunächst angedachten Langzeitpraktikum wurde eine feste Arbeit. "Vor vier Jahren waren die Prognosen bei ihr eher so, dass sie es keine zwei Tage durchhält." Was sich als Irrglaube herausstellte. Auch bei René Albers, der den Tieren schnell zeigte, "wer der Boss ist". "Beide haben die Fähigkeit mitgebracht, das Verhalten der Pferde zu erkennen. Es ist eine Zwiesprache zwischen ihnen und den Tieren zu erkennen", sagt Oliver Penns.

Mittlerweile gehören beide fest zum Team im Reitstall des Ehepaar Borcks, pflegen 65 Turnier- und Privatpferde. René Albers hat dort sogar Trecker fahren gelernt.

Und der berufliche Weg soll für die beiden noch nicht zu Ende sein. "Es ist noch mehr drin", sagt Janina Marzowka - doch der Eintritt in den richtigen Arbeitsmarkt ist schwer. "Das ist das Problem, unsere Zielgruppe auf diesem Markt unterzubringen. Wenn betriebswirtschaftlich geguckt wird, würden die Anforderungen wesentlich höher sein", sagt Penns und nennt weitere Hemmnisse: Die Arbeitsstelle müsste mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein, und im jeweiligen Betrieb muss Verständnis für gehandicapte Arbeitskräfte aufgebracht werden. "Die Verantwortung liegt im Umfeld. Janina und René geben sich sehr viel Mühe, aufgrund ihrer Behinderung vergessen sie Dinge aber mal", sagt Penns.

Selber reiten, das ist für die beiden eher nichts. "2000 bis 3000 Euro müsste ich verdienen", so die 25-Jährige. "Später eine Reitbeteiligung wäre okay."