Von Eyke Steffen

Geesthacht.
"Was wir an dem Abend erlebt haben, war blanker Horror." Torsten Ninnemann erinnert sich noch genau an den 1. Juni 2015. Für den HSV-Fan und Gründer des Geesthachter HSV-Fanclubs Rauten Rowdys war das Relegations-Rückspiel zwischen seinen "Rothosen" und dem Karlsruher SC unglaublich emotional. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern schaute er das Spiel im Klubraum in der Gaststätte Uschis Stübchen. Der Raum, verziert mit unzähligen Schals und Wimpeln, kann das Herz jedes Fußballromantikers sofort erobern.

An jenem denkwürdigen Abend gab es für HSV-Fans aber nur wenige romantische Momente - bis zur 115. Minute. Da schoss Nicolai Müller mit seinem 2:1-Siegtor den Fußball-Bundesliga-Dino zum Klassenerhalt. Einen Heldenstatus hat der Rechtsaußen deswegen nicht unter den Fans. Denn die Enttäuschungen der vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Bezeichnend dafür: Trikots der aktuellen HSV-Kicker sucht man im Klubraum vergeblich.

Seit fünf Jahren verfolgen die 30 Mitglieder regelmäßig zusammen die Spiele ihres Hamburger Sport-Vereins. Und das wird auch jetzt so sein, wenn der HSV morgen in seine 53. Saison im Oberhaus im Eröffnungsspiel ausgerechnet bei Rekordmeister Bayern München (live, ARD, 20.15 Uhr) startet. Aus gemeinsamer Leidenschaft sind Freundschaften entstanden. Doch auch unter Freunden darf diskutiert werden - zum Beispiel über die Transferpolitik des HSV. "Ich finde es schade, dass mit Jonathan Tah wieder mal ein junges Talent aus der eigenen Jugend verkauft wurde", bemängelt Niklas Strunz, bei den "Rowdys" für den Netzauftritt verantwortlich. Ninnemann sieht das anders. Schließlich habe der HSV eine millionenschwere Ablösesumme aus Leverkusen erhalten.

Zu der vor einem Jahr durchgeführten Strukturreform sind sich die Rauten Rowdys aber alle einig. "Wir sind alle klare Unterstützer der Ausgliederung und haben auf der damaligen Mitgliederversammlung auch dafür gestimmt", so Ninnemann. Die Ausgliederung der Fußballabteilung aus dem HSV (e. V.) in eine eigene Aktiengesellschaft hatte in Fankreisen für große Diskussionen gesorgt. "Durch die Ausgliederung sehen wir wieder ein Konzept", erklärt Thorsten Hesse, Erster Vorsitzender des Fanclubs.

Am größten ist die Vorfreude allerdings natürlich auf die neue Saison. Der Hoffnungsträger der Geesthachter HSV-Fans ist indes nicht etwa einer der Neuzugänge, sondern der Trainer. "Bruno Labbadia lebt den HSV, für ihn ist das eine Herzensangelegenheit", so Gregor Drewelowski.

Mit einer Saisonprognose tun sich alle schwer. Vorfreude endete zuletzt allzu oft in Enttäuschung. Auch diese Saison startete mit dem frühen Aus im Pokal gegen Jena blamabel. Dazu kamen mit dem "Rucksack-Gate" nicht nur sensible Spielerdaten in falsche Hände, ein kurzzeitig im Fanshop erhältliches T-Shirt zeigte eine Choreografie von Hertha-BSC- statt von HSV-Fans: Die Peinlichkeiten summieren sich vor dem Start in die neue Bundesliga-Saison.

Den Humor haben die HSV-Fans aber nicht verloren. "Jetzt, wo Darmstadt aufgestiegen ist, können wir nur Meister werden", scherzt Thorsten Hesse. Denn immer wenn Darmstadt 98 in der Ersten Bundesliga spielte, wurde der HSV deutscher Meister. "Wir wünschen uns einfach nur eine ruhige Saison, das würde dem ganzen Verein guttun", so der realistische Wunsch von Niklas Strunz. Auf dramatische Abende wie am 1. Juni können alle HSV-Fans liebend gern verzichten.