Geesthacht
(jhs).
Es war der 7. April dieses Jahres. Zuerst entdeckte Elke Virchow das Männchen. Der seltene Vogel hatte einige Tage vor der Ankunft seiner Partnerin das Dach des Gebäudes der Firma Intermed angeflogen. Eine lautstarke Landung: "Das Geschrei war ordentlich", sagt die Beobachterin, "aber nach einer Weile doch putzig". Klarer Fall: Die Austernfischer halten Anlieger an der Hermsdorfer Straße auf Trab.

Seit mindestens drei Jahrzehnten brütet ein Paar immer wieder auf dem Flachdachgebäude. Hartwig Jürgens von der Nabu Ortsgruppe weiß, warum: "Dieses Dach mit vielen kleinen Kieseln ist ideal für den Nestbau, die bodenfarbenen Eier lassen sich gut verstecken." Weitere Vorteile des Brutplatzes nennt Friedhelm Ringe, ebenfalls vom Nabu: "Das Dach ist zu hoch für Erdfeinde wie Igel oder Füchse und bietet andererseits den besten Überblick für die Revierverteidigung aus der Luft. Außerdem gibt es hier genügend Futterquellen."

Ungewollt hat Elke Virchow eine solche geschaffen. Zu Jahresbeginn ließ sie 80 Tannen auf ihrem Grundstück fällen, säte neuen Rasen aus. Ein Futter-Wunderland, wie sich herausstellte: Denn so eine Rasenfläche wie bei den Virchows lieben Austernfischer. Sie verzehren hauptsächlich Regenwürmer, Schneckenlarven, Käfer, oder Muscheln. Auch dafür ist der Standort im Gewerbegebiet klug gewählt. Die Elbenähe erlaubt dem Männchen, auf Nahrungssuche zu fliegen, während seine Partnerin den Nachwuchs, dieses Jahr übrigens drei Piepmätze, bewacht. Tödlich kann dieser Weg allerdings für Jungvögel sein, die Massen an Autoverkehr vom Düneberger Gewerbegebiet bis zum Schutzgebiet auf der Elbinsel überwinden müssen.

Gewerbeanlieger wie Intermed, Birkenstock oder Ute Orth kümmern sich liebevoll um ihre fliegenden Freunde. Das war auch beispielsweise 2008 so: Im damals sehr trockenen Sommer spielten sich herzergreifende Szenen ab. "Damals lag ein Jungvogel tot auf dem Boden", erinnert sich Bernd Hahnemann, Betriebsratsvorsitzender bei Intermed, "wir haben Herrn Ringe mit dem Gabelstapler hochgefahren, damit er Futter anliefern konnte. Immerhin brachte er zwei Jungtiere durch." Bernd Hahnemann zeigte im Vorjahr selbst Retterqualitäten. Damals war ein Babyvogel vor der Firmeneinfahrt in den Gully gestürzt, die Mutter stand hilflos davor - bis Hahnemann eingriff.

Möglicherweise liegt seit 30 Jahren dasselbe Paar die Elbestadt an. Austernfischer sind sowohl für Standorttreue als auch einen hohen Grad an Monogamie bekannt. Sie können bis zu 45 Jahre alt werden. "Eigentlich sind wir ob vieler aussterbenden Vogelarten ziemlich verzweifelt", sagt Ringe, "aber es gibt uns Kraft, dass diese Beschäftigten so mit den Austernfischern mitfiebern." Da die Vögel vermutlich 2016 wiederkommen werden, wünschen sich Ringe und Mitstreiter, dass weitere Menschen für das Thema sensibilisiert werden.