Von Kim Nadine Müller

Hamburg/Börnsen.
Wenn Hardy Rudolz den blauen Bademantel anzieht, Puder und Pinsel auspackt, stehen die ersten Theatergäste bereits im Foyer. "Ich schminke mich immer selbst", sagt der Musicaldarsteller aus Börnsen. "So muss ich für die Maske nicht früher kommen." Rudolz fährt mit dem Pinsel über ein kleines Grübchen am Kinn: "Es ist wie ein Ritual vor jeder Aufführung. Ich schaue in den Spiegel und denke: 'Ach Gott, siehst du heute alt aus.'" Er lacht. Im August wird der Künstler 60 Jahre. Das Haar ist weiß, aber die Haut gebräunt und glatt. "Schau dir ihn an", sagt er fröhlich und deutet auf Schauspielkollegen Christian Richard Bauer, der in der Herrengarderobe des Ohnsorg-Theaters zwei Spiegel weiter Platz genommen hat: "Der braucht gar keine Schminke, der sieht einfach so gut aus." Bauer schüttelt grinsend den Kopf. Rudolz und der 30-Jährige spielen Vater und Sohn in dem plattdeutschen Musical "Dat Narrenhuus". "Wir lehnen uns wie Betrunkene aneinander", sagt Bauer. "Ich helfe ihm beim Plattdütschsprechen und er mir beim Gesang."

Boulevard-Klassiker mit niedlich-norddeutschem Charme

Mit "Dat Narrenhuus" (La Cage aux Folles) bringt das Ohnsorg-Theater am Heidi-Kabel-Platz 1 erst zum zweiten Mal ein Musical auf die Bühne. Aufwendig inszeniert mit 14 Schauspielern üppigen Kostümen und einer Drehbühne. Das Stück kommt gut an beim älteren Stammpublikum des Hauses. Doch auch junge Leute und Nicht-Plattsnacker haben mit Sicherheit Spaß an dem kurzweiligen, neu inszenierten Broadway-Klassiker von Jerry Herman und Harvey Fierstein. Denn Lieder wie "I am what I am" - auf Platt: "Ick bün wat ick bün" - sind Welt-Hits und bekommen durch das Plattdeutsche einen niedlich-norddeutschen Charme. Ohnsorg-Regisseur Frank Thannhäuser verlegt den Ort des Geschehens kurzerhand nach St. Pauli. Es geht kaum passender, handelt das Stück doch von einem Travestie-Theater. Betreiber ist der homosexuelle Georg (Hardy Rudolz). Star in der Show ist Georgs liebenwert-exzentrischer Lebenspartner Alwin (Erkki Hopf) alias Zaza. Ihre Liebe wird auf die Probe gestellt, als Ziehsohn Jan-Michael heiraten will und die bunte Patchworkfamilie vor seinen erzkonservativen Schwiegereltern verheimlichen will.

Singen op Platt: Musical-Routinier betritt Neuland

Hardy Rudolz ist als Musical-Routinier auf den großen Bühnen im In- und Ausland zu Hause, hat vom Phonetik Professor Henry Higgins aus "My Fair Lady" bis zum Phantom in "Das Phantom der Oper" so ziemlich jede große Rolle bereits gespielt. Auch den Georges aus "Ein Käfig voller Narren" hat er bereits gegeben. Trotzdem betritt er in der Heimat auf der gemütlichen Bühne des Tradititonstheaters direkt am Hauptbahnhof Neuland - denn op Platt hat er vorher noch nie gesungen. "Früher in Börnsen haben zwar alle mit uns Kindern Platt gesnackt, gerade, wenn sie mit uns geschimpft haben, aber selber gesprochen, habe ich es nie." Das musste er für die Hamburger Bühne erst lernen. "Manchmal bin ich bei den Proben, ohne es zu merken, ins Hochdeutsche gefallen." Gerade die Betonungen im Plattdeutschen seien oft tückisch. Ein unkompliziertes, gut gelauntes Ensemble, gemischt aus Stammschauspielern und Gästen, unterstützt sich gegenseitig. "Das ist hier wie nach Hause zu kommen", sagt Rudolz, für den mit dem Engagement am Ohnsorg-Theater ein Kindheitstraum wahr wird.

19.45 Uhr: In einer Viertelstunde beginnt die Vorstellung. Hinter der Bühne herrscht nun reges Treiben. In einem langen Gang reihen sich die Garderobenständer aneinander. Manche sind voll mit bunten Tüllkleidern, an anderen hängen Hemden und Anzüge. Ankleiderin Eva-Maria Sporleder bügelt noch schnell ein rosa Hemd auf, das Hardy Rudolz als Georg auf der Bühne trägt. Eines von sechs Kostümen. Nebenan ist laut Türschild die "Machtzentrale der Puderluder". Hier beweist Kerstin Britz Fingerspitzengefühl. Sie muss Ohnsorg-Stammschauspieler Nils Owe Krack künstliche Wimpern ankleben, denn er spielt Transvestit Jakob.

Dann ist es 20 Uhr, der Vorhang geht auf, und das Ohnsorg-Theater wird für zweieinhalb Stunden zu einem Travestie-Club, mit bezaubernden Tänzern und großartigen Sängern. "Dat Narrenhuus" ist Plädoyer für Toleranz und die Freiheit der Liebe - das hätte Ohnsorg-Ikone Heidi Kabel ganz bestimmt bannig gut gefallen.

* "Dat Narrenhuus" läuft noch bis zum 5. Juli im Ohnsorg-Theater. Einführungsgespräche gibt es dienstags vor Vorstellungsbeginn. Karten sind ab 16,50 Euro erhältlich.