Von Kim Nadine Müller

Geesthacht.
Eigentlich könnte Jens Wrage einen Ohrensessel kaufen und es sich Tag für Tag mit Pfeife im Mund darin gemütlich machen. Schließlich ist der Grünhofer 70 Jahre alt. 46 Arbeitsjahre liegen hinter ihm. Es waren erfolgreiche Jahre, zuerst bei einer Hamburger Behörde, dann als Geschäftsführer der Alster-Touristik GmbH und als Vorstand der Hadag Seetouristik und Fährdienst AG. Bis heute transportieren die von ihm mitentwickelten Hadag-Fähren - Spitzname: "Bügeleisen" - Jahr für Jahr 6,5 Millionen Passagiere durch den Hafen Richtung Oevelgönne, Finkenwerder oder zu den Musical-Theatern gegenüber von den Landungsbrücken. Doch für einen Ruhestand im Ohrensessel ist Jens Wrage viel zu agil - geistig und körperlich. Deshalb hat er Mitte Mai den Vorstandsposten bei der Hamburger Tafel übernommen.

"Ich finde die Idee der Hamburger Tafel faszinierend", sagt Wrage. "Sie verfolgt das sozialste Prinzip: Einer hat zu viel und gibt es dem, der zu wenig hat. Wir sind sozusagen das Scharnier. Und das Ganze ehrenamtlich, komplett ohne staatliche Unterstützung."

Jens Wrage und Annemarie Dose lernten sich kennen, als "Ami" 1994 die Hamburger Tafel gründete. Wrage unterstützte Dose mit kostenlosen U-Bahn-Fahrscheinen. Später lud er die Tafel-Chefin ein, Taufpatin für einen Alsterdampfer zu werden. Aus den wiederkehrenden Begegnungen wurde eine Freundschaft, die bis heute hält. Vor zwei Jahren hatte Annemarie Dose den Tafel-Vorstand an Achim Müller abgegeben, der diesen jetzt aus persönlichen Gründen niederlegte. Da kam die 87-Jährige zu Wrage. "Ich möchte allerdings meine Arbeit aufteilen, eher eine Aufsichtsratsfunktion übernehmen und zusätzlich einen Geschäftsführer verpflichten, der sich um das Tagesgeschäft kümmert", sagt der Rentner. Er selbst will sich um die Akquise von neuen Sponsoren und Lieferanten bemühen. Noch im hohen Alter war Ami Dose sieben Tage pro Woche für die Tafel im Einsatz. "Das möchte ich nicht. Das Ziel sind ein bis zwei Tage pro Woche." Schließlich soll neben dem Engagement noch genug Zeit für Ehefrau Regina, die beiden erwachsenen Söhne und die zwei Enkelkinder bleiben. "Ich habe jetzt sechs Jahre Freizeit richtig genossen, jetzt kann ich wieder etwas zurückgeben."

Die ersten Rentenjahre hat Jens Wrage einen Traum gelebt. Der Hobbykapitän machte im Mai 2009 in Geesthacht die Leinen los und fuhr mit dem 75 PS starken Motorboot "Matian" über europäische Flüsse und Kanäle bis nach Frankreich. "In Metz war Schluss." Eigentlich wollte der Bootsliebhaber bis nach Südfrankreich, doch eine Entzündung in der Schulter machte dem Abenteuer ein Ende. Am 23. Juli war er zurück. In den nachfolgenden Jahren brach er gemeinsam mit Ehefrau Regina immer wieder zu Bootstouren auf, zum Beispiel auf der Müritz. "Als ich das Schiff 2013 verkaufte, war ich 1500 Betriebsstunden gefahren", erzählt Wrage stolz.

Jetzt soll sein Engagement bei der Tafel ihn stolz machen. Für die Gründung einer Geesthachter Tafel steht er allerdings nicht zur Verfügung. "Das muss jemand anders machen, außerdem gibt es hier ja die Geestküche."