Gusher-Syndrom: Sechsjährige lernt gesprochene Sprache dank Implantat

Ein einzelner Sonnenstrahl fällt durchs Wohnzimmerfenster, auf dem Boden spielt die sechsjährige Anuk mit den beiden Hauskatzen Karla und Lilly. Als ihre Mutter Michala Gohlke das blonde Mädchen anspricht, reagiert ihre Tochter nicht. "Sie hat ihr CI noch nicht drin", sagt Gohlke. CI ist eine Abkürzung für Cochlea-Implantat - eine Hörprothese für Gehörlose, deren Hörnerv noch funktioniert.

"Anuk wurde nicht taub geboren", sagt ihre Mutter. Beim Neugeborenen-Screening zeigte sie keinerlei Befunde. Ihr Hörvermögen schien normal. "Doch später hatte sie Probleme mit der Sprachfindung", so Gohlke. Ein Hörtest brachte es ans Licht: Anuks Hörvermögen verschlechtert sich, zurzeit hört sie nur Geräusche über 90 Dezibel. Das entspricht ungefähr der Lautstärke eines vorbeifahrenden Lkw. Zuerst versuchte es die Familie in Absprache mit Ärzten und Akustik-Experten mit normalen Hörgeräten. Ohne Erfolg.

Anuk wurde mit dem Gusher-Syndrom geboren. Aufgrund einer genetischen Vererbung ist der Druck im Perilymphraum ihres Innenohrs zu groß. Deswegen können Schallwellen nicht in elektrische Reize für die angrenzenden Nervenzellen umgewandelt werden. Abhilfe schafft ein CI. Das Gerät besteht aus mehreren Komponenten: einer externen Einheit mit Mikrofon, Sprachprozessor, Batterie und Spule sowie einer implantierten Einheit. Dafür ist eine Operation nötig. Vor einem halben Jahr setzte Professor Barbara Wollenberg in der Universitätsklinik in Lübeck einen Schnitt hinter Anuks linkes Ohr. Dort wird die Empfangsspule eingebettet, ein Stück weiter oben wird ein Magnet als Gegenpol für den Magneten an der Sendespule angebracht. Die Elektroden des Stimulators werden durch eine kleine Öffnung in der Schädeldecke in die Cochlea (Hörschnecke) eingeführt. Eine aufwendige medizinische Maßnahme, doch nachdem die erste OP gut verlief, war vor zwei Wochen das rechte Ohr an der Reihe.

"Wir haben uns damals für die OP entschieden, weil Anuk gesagt hat, dass sie gerne weiter Musik hören möchte", so Gohlke.

Heute hat die Sechsjährige die Eingriffe gut überstanden. Hört weiterhin ihre Lieblingslieder. "Aber bitte mit Sahne" von Udo Jürgens zum Beispiel - hauptsächlich aber wegen des Basses und des Rhythmus.

Damit sich Anuk schneller mit dem doch deutlich größeren CI anfreunden konnte, hat Michala Gohlke ihr verschiedene Schutzhüllen zum Aufstecken genäht. Die begeistern nicht nur ihre Tochter: Auf der Messe Creativa 2015 in Dortmund belegte die begeisterte Hobbynäherin mit einem ihrer Cover für die "Prothese mit Wow-Faktor" den dritten Platz. Nicht das erste selbst genähte Geschenk für Anuk. Zu ihrer Einschulung in die Hamburger Elbschule - ein Bildungszentrum für Hörgeschädigte und Gehörlose - bekam sie keine gewöhnliche Schultüte, sondern eine Eistüte. In dem Fachzentrum lernt die Schülerin beide Kommunikationswege: die Gebärdensprache und die gesprochene Sprache. Mittlerweile spricht Anuk fließend mit den Händen, und ihr verbales Sprachvermögen liegt auf dem Niveau einer Dreijährigen. Aber sie holt schnell auf. Anuks Geschichte wurde schon mit Nadel und Faden verewigt. Gohlke: "Ich habe ihr einmal eine Patchworkdecke genäht." Der Titel: Die Prinzessin, die auszog, die Töne zu finden.