Glücksspiel: Experte warnt vor Suchtpotenzial bei Sportwetten - Rechtsgrundlage Spielberechtigter unklar

Auf den großen Monitoren laufen Live-Ticker von Sportereignissen am anderen Ende der Welt. Aktuell spielen in der Fußball-Champions League Asien Gamba Osaka oder Guangzhou R&F. Auf anderen Monitoren geht es um Wasserball. Auch wenn diese Sportereignisse hierzulande sicherlich nur Minderheiten ansprechen, ist das neue X-Tip Wettbüro im Nessler-Gebäude gut besucht, selbst zur Mittagszeit sind alle vier Wett-Terminals besetzt. Kein Wunder. "Sportwetten boomen", wie der Geesthachter Suchtexperte Dr. Jens Kalke sagt. Er gehört zur wissenschaftlichen Leitung des Hamburger Instituts für Interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD), ist Spezialist für Glücksspielsucht.

X-Tip ist bislang das einzige Wettbüro der Stadt, der Firmensitz des Betreibers ist auf Malta. Wer in den Räumen auf Sportergebnisse tippen möchte, muss sich allerdings vorher registrieren lassen. "Wegen des Jugendschutzes", wie die Aufsicht betont. Dazu muss der Ausweis mitgebracht werden - ohne den geht nichts. Registrierte Wetter erhalten eine Chipkarte, nur mit dieser können sie die Spielterminals nutzen. Wer sich Gewinne auszahlen lassen möchte, muss zusätzlich noch ein Handy dabeihaben - zur Überprüfung wird ein Code per SMS verschickt, diesen gibt man in einen Automaten ein, der zahlt in bar aus.

Zwar hat ein Wettbüro mit einer Spielhalle mit Ausnahme der abgedunkelten Scheiben wenig gemein - beim auffälligen Spielverhalten und damit beim Suchtpotenzial liegen Live-Wetten allerdings nur ganz knapp hinter den Geldspielautomaten. Und das ist aus Sicht der Suchtexperten problematisch. "Rund 20 Prozent der Spieler in Wettbüros zeigen auffälliges Verhalten. Damit rangieren die Gefahren nur knapp hinter dem Automaten", sagt Kalke. Grund sei die Struktur des Spiels: "Bei Live-Wetten verliert man ganz schnell die Kontrolle. Man kann während eines laufenden Spiels unendlich viele neue Wetten abschließen, um Verluste zu kompensieren. Und das ist gefährlich", sagt Kalke.

So kann neben einem Ergebnistipp darauf gewettet werden, wer das nächste Tor schießt, welches Team die nächste Gelbe Karte bekommt, ob es in den kommenden zehn Minuten eine Ecke gibt oder ob die folgenden 30 Minuten torlos bleiben. Ein einziges Bundesliga-Spiel bietet durchaus schon mal 50 verschiedene Wetten an - und obwohl bei X-Tip keine Spiele auf den Fernsehern zu sehen sind, sorgen die Live-Ticker auf den Monitoren für Spannung.

"Aus Spielerschutzsicht müsste man eigentlich wieder zurückkehren zu einem Festquotenspiel, in dem der Spieler vorher auf das Endergebnis tippt", sagt Kalke. Denn er weiß: Je kürzer der Abstand zwischen Wettabgabe und der Gewinnmöglichkeit ist, desto höher ist das Suchtrisiko.

"Rund drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung nehmen mindestens einmal pro Jahr an Sportwetten teil. Und diese Zahl steigt", sagt Jens Kalke. Wettbüros ziehen in erster Linie Männer an, junge Männer, die sportbegeistert sind. Ihnen wird suggeriert, dass sie durch ihr Fachwissen das Spiel kontrollieren können. "Das ist natürlich eine Fiktion, denn auch beim Fußball und bei anderen Sportarten hängt vieles vom Zufall ab", sagt Kalke. Das bestätigen auch Studien. So ist der Wetterfolg von Experten nicht besser als der von sportlichen Laien, wie eine Schweizer Studie bei der Fußball-Europameisterschaft 2008 herausfand.

Dass Sportwetten überhaupt boomen, liegt an einer kuriosen Rechtslage. "Eigentlich liegt das Glücksspielmonopol beim Staat", sagt Kalke. Und demnach dürfte nur Lotto als Anbieter auftreten, der mit "Oddset" auch Sportwetten im Programm hat - allerdings ohne Livewetten. "Doch die Bundesländer haben einen Kompromiss geschlossen, wollten den Glücksspielmarkt liberalisieren, um die Abwanderung ins Internet zu stoppen", so Kalke. Über einen Glücksspielstaatsvertrag sollten bis zu 20 Lizenzen unter strengen Auflagen erteilt werden. 100 potenzielle Veranstalter bewarben sich - 40 kamen in eine engere Wahl. Doch die Prüfung endete im Chaos: Das Verfahren läuft seit drei Jahren, doch bis heute wurde keine einzige Lizenz erteilt. Stattdessen zogen die übergangenen Anbieter vor Gericht - die Prozesse laufen. In der Zwischenzeit werden die Aktivitäten der Anbieter in Deutschland geduldet.

In Schleswig-Holstein gelten noch Lizenzen eines alten Glücksspielgesetzes, das die schwarz-gelbe Landesregierung auf den Weg gebracht hatte - hier wurden zeitlich befristete Lizenzen vergeben. Über so eine verfügt auch X-Tip. Für Wissenschaftler Kalke eine kuriose Situation: "Da sich X-Tip auf diese Lizenz beruft, würde das eigentlich bedeuten, dass hier auch nur spielen darf, wer einen Wohnsitz in Schleswig-Holstein hat." Ob dem so ist, ist selbst in den Aufsichtsbehörden umstritten. Eine Stellungnahme der Glücksspielaufsicht in Kiel liegt uns noch nicht vor. Kalke: "Insgesamt ist das alles ein großer Graubereich."