Kontroverse: Historiker sorgt für Diskussionsstoff: Sollte Stadt Gymnasium und Straße umbenennen?

Er gilt als der bedeutendste Chemiker der Geschichte. Otto Hahn (1879-1968) entdeckte die Kernspaltung des Urans, 1944 erhielt er dafür den Nobel-Preis. Nach dem Krieg wurde er als Pazifist und Kritiker der nuklearen Aufrüstung bekannt. Doch der Chemiker hatte offenbar auch eine dunkle Seite. Recherchen des Göttinger Historikers Martin Melchert sollen jetzt belegen, dass Hahn im Ersten Weltkrieg dem "Vaters des Gaskriegs" Fritz Haber bei der Entwicklung von Giftgasen wie Phosgen half. Darüber berichten bundesweite Medien wie der "Tagesspiegel" und die "taz". Otto Hahn füllte demnach im Ersten Weltkrieg sogar eigenhändig Hunderte Chlorgasgranaten und organisierte deutsche Giftgasangriffe. Von Kriegsverbrechen ist die Rede. In Göttingen fordert ein Bündnis mehrerer Initiativen deshalb nun die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde. Müssen auch in Geesthacht das Otto-Hahn-Gymnasium und die Otto-Hahn-Straße unbenannt werden?

"Wir haben die Diskussion wahrgenommen und nehmen sie auch sehr ernst", sagt Stadtsprecher Torben Heuer. "Ich gehe davon aus, dass die Politik das Thema aufgreifen wird und diskutiert, wie wir damit umgehen sollen." Die SPD-Fraktionsvorsitzende Kathrin Wagner-Bockey wünscht sich mehr Fakten. "Wir müssen die Erkenntnisse genau prüfen. Wenn es wirklich eine neue Einschätzung über Otto Hahn gibt, dann müssten wir unsere bisherigen Namensgebungen zur Diskussion stellen."

Zuständig für eine Namensänderung wäre der Ausschuss für Schule und Kultur. "Ich bin überzeugt, dass wir der nötigen Diskussion dort bald nachkommen werden", sagt CDU-Fraktionschef Karsten Steffen. Eine Namensänderung sieht er jedoch kritisch. "Otto Hahn ist eng mit Geesthacht verbunden, durch die Kernforschung und das Kernkraftwerk", sagt Steffen. "Dinge, die 1914 passierten, muss man im Licht der damaligen Zeit betrachten", betont Steffen und schlägt vor, dass man beispielsweise am Otto-Hahn-Gymnasium eine Tafel mit den Verdiensten, aber auch mit den negativen Seiten Hahns aufstellt. Die Schule trägt den Namen des Forschers seit 1968.

Der Historiker und langjährige Stadtarchivar William Boehart rät zu einer gründlichen Aufarbeitung: "Man muss immer offen sein für die aktuelle Forschung, die Wissenschaft steht ja nicht auf der Stelle." Für Umbenennungen müsse man aber strenge Maßstäbe ansetzen, so Boehart. "Wichtig ist jetzt, dass das Thema diskutiert wird." Boehart regt eine Podiums-Diskussion mit Experten über Otto Hahn an. "Insbesondere die Schule müsste ein Interesse daran haben", sagt Boehart und hofft auf eine spannende Debatte.