Gerichtsurteil: Bundesrichter entscheiden: Fehlender Kopfschutz kein Grund für Teilschuld

Auch ohne Fahrradhelm voll versichert: Gestern kippte der Bundesgerichtshof (BGH) ein umstrittenes Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig (OLG) - 2011 war eine Radfahrerin in Glücksburg auf dem Weg in ihre physiotherapeutische Praxis aufgrund einer plötzlich geöffneten Autotür eines geparkten BMW schwer gestürzt. Die Folge: ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt aufgrund einer schweren Kopfverletzung. Für die OLG-Richter stand schnell fest, die BMW-Fahrerin hat den Unfall verursacht, ihre Haftpflicht muss zahlen. Allerdings nur 80 Prozent, die Physiotherapeutin bekam eine Mitschuld zugesprochen, da sie zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Fahrradhelm trug.

Nun wurde dieses Urteil von den obersten Richtern einkassiert: Die Frau könne vollen Schadensersatz beanspruchen, denn das Tragen eines Fahrradhelms sei nicht vorgeschrieben, so die Karlsruher Richter.

"Ich bin froh, dass die Richter so entschieden haben", sagt Karsten Kiehn. Der begeisterte Radfahrer aus Geesthacht hätte keine Probleme mit der Einführung einer Helmpflicht, "aber nicht so, nicht hintenrum durch einen Zweiklassenversicherungsschutz". Wenn, dann sollte der Staat offen seine Sorgfaltspflicht ausüben und das Tragen eines Fahrradhelms gesetzlich verankern. Doch genau dagegen hatte sich 2013 der damalige Verkehrsminister Peter Ramsauer ausgesprochen. Der CSU-Politiker setzte damals auf eine freiwillige Akzeptanz der unbeliebten Schutzausrüstung.

"Maximal zehn Prozent der Unfallopfer tragen einen Helm", sagt Dr. Florentin Stachow. Der Notarzt am Johanniter-Krankenhaus wird in den Sommermonaten regelmäßig jede Woche zu einem Fahrradunfall gerufen. "Aus Sicht eines Notarztes wäre das Tragen eines Helms zu begrüßen und auch dringend zu empfehlen", so der verantwortliche Arzt für die Notfallmedizin am Johanniter-Krankenhaus. Gebrochene Arme, hin und wieder ein stumpfes Bauchtrauma durch einen Treffer mit dem Lenker, aber die meisten hätten Kopfverletzungen, so Stachow. Doch das müsste eigentlich nicht sein: "Zum Beispiel der Unfall auf dem Fahrradweg von Geesthacht nach Wiershop: Hätte die Frau einen Helm getragen, wäre nichts Gravierendes passiert", so der Notarzt. Am Sonntag war eine Radfahrerin auf dem Radweg entlang der L 205 gestürzt. Sie wurde mit schweren Kopfverletzungen in die Klinik gebracht.

Generell ist der Fahrradhelm nicht sehr beliebt: Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen hätten 2011 innerorts nur elf Prozent aller Radler einen Kopfschutz getragen, 2013 sollen 15 Prozent einen Helm aufgesetzt haben.

Allerdings ließen die Bundesrichter eine kleine Hintertür offen: Es bestehe zwar keine allgemeine Helmpflicht, Radfahrern sei aber dennoch das Tragen eines Helmes zuzumuten. Ein Mitverschulden könne dann bestehen, wenn das Tragen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre - dies hätte es 2011 noch nicht gegeben.