Erste Hilfe: Als Tyrone nach einem Krampfanfall aufhört zu atmen, behält der Jugendliche die Nerven

"Ich habe gedacht: Jetzt verlieren wir ihn, er stirbt!" Wenn Daniela Rathge an den 15. November denkt, fängt ihr Herz heftig an zu pochen. Es war der Tag als ihr behinderter Sohn Tyrone (6) nur knapp dem Tod entging und sein Bruder Justin (14) ihm das Leben rettete.

An diesem Freitag ging es Tyrone nicht gut. Der Junge, der wegen eines unerforschten Syndroms behindert ist, war blass und schwach. Er aß nicht viel, musste sich übergeben. Zum Abendessen gab es Brei, dann legte Daniela Rathge ihren Sohn ins Bett. Als sie eine Dreiviertelstunde später nach ihm schaute, ließ sie der Anblick ihres Kindes erstarren: Erbrochenes lag auf dem Kopfkissen, Tyrone war nicht ansprechbar, krampfte, lief blau an. Daniela Rathge rief entsetzt nach ihrem Mann Heiko. Zusammen mit dem älteren Sohn, Justin, sprintete er die Treppe hinauf. Die Eltern waren in Panik, gelähmt und handlungsunfähig. Doch der 14-jährige Justin reagierte sofort, schob seinen Vater beiseite und sagte: "Ich mache das hier!" Tyrone wurde auf den Teppich gelegt. Justin kontrollierte Atmung und Herzschlag. Der kleine Bruder atmete nicht, aber das Pochen in der Brust war zu spüren. Justin schaute nach, ob noch Erbrochenes den Mund des Kindes verstopfte, dann überstreckte er den Kopf seines Bruders und beatmete ihn durch den Mund, während der Vater den Rettungsdienst rief. Justin spendete seinem Bruder Atem, bis die Rettungskräfte eintrafen und die Versorgung übernehmen konnten. Sie schickten die geschockten Eltern aus dem Zimmer. Justin blieb bei seinem Bruder. Der kleine Junge kam ins Unfallkrankenhaus Hamburg-Eppendorf. Diagnose: Krampfanfall mit Atemstillstand. Drei Tage hat es gedauert, dann war Tyrone wieder wohlauf. Die Ärzte bestätigten den Eltern: Das war Rettung in letzter Minute. Justins beherztes Eingreifen hatte Schlimmeres verhindert.

"Einer musste ja ruhig bleiben. Wir haben das trainiert", sagt Justin heute. Mit "wir" meint er die Rettungsschwimmer in seinem Verein SiWa - Sicheres Wasser. Der Verein hat 45 Mitglieder, darunter 30 Rettungsschwimmer. Er übernimmt Wasserrettungs- und Sanitätsdienste und führt im Sommer die Badeaufsicht am See in Müssen durch. Erst in diesem Sommer hatte Justin dort zuerst seine Jugendschwimmabzeichen in Silber und Gold gemacht und im Anschluss eine Ausbildung als Rettungsschwimmer absolviert. Die Herz-Lungen-Wiederbelebung ist ein zentrales Element der Ausbildung. "Das haben wir so oft geübt bis es saß, bis wir sicher waren und keine Fehler mehr gemacht haben", erzählt Justin, der das Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) besucht und Chirurg werden möchte. An "Little Anne", der Übungspuppe, wurde die Wiederbelebung bei jedem Zusammentreffen am See trainiert. Der Lehrrettungsschwimmer Helge von Appen, der den Verein leitet und als Berufsfeuerwehrmann und Rettungsassistent in Hamburg arbeitet sowie die Rettungsschwimmerin Sarah Wieczorek übten die Handgriffe und Abläufe mit jedem der zukünftigen Rettungsschwimmer immer wieder.

"Wir sind so glücklich und dankbar, dass Justin die Wiederbelebung gelernt hat und anwenden konnte. Was für ein Glück!", sagt Mama Daniela Rathge. Im nächsten Sommer wird Justin erstmals als Rettungsschwimmer an der Badelagune in Müssen tätig sein. Er gehört auch der neu gegründeten Externen Unterstützungsstaffel von SiWa an, die Sanitäts- und Wasserrettungsdienste bei öffentlichen und privaten Veranstaltungen durchführt.