Ortstermin: Ralf Stegner (SPD) über Große Koalition, SSW und Fernsehdemokratie

Ralf Stegner ist SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein. Außerdem ist er aktuell an den Verhandlungen zu einer Großen Koalition mit der CDU auf Bundesebene beteiligt. Bei einem Redaktionsbesuch spricht er mit Geesthacht-Redakteurin Kim Nadine Müller über unmögliche Kompromisse, die Arbeit der Landesregierung und die Notwendigkeit, dass Politiker nahbare Personen bleiben.

bz/LL:

Welche Kompromisse sind für Sie bei einer Großen Koalition undenkbar?

Ralf Stegner:

Wenn die CDU keine Steuererhöhungen will, muss sie erklären, wie sie höhere Investitionen, zum Beispiel in Bildung, bezahlen will. Kürzungen im sozialen Bereich kommen nicht in Frage. Außerdem tragen wir keine inhumane Flüchtlingspolitik mit. Hier müssen mehr Ideen kommen, als nur die Grenze zu verstärken. Auch am Mindestlohn halten wir fest.

Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass die SPD aus einer Großen Koalition als Verlierer hervorgeht?

Das hängt viel vom Verhandlungsergebnis ab und von den handelnden Personen. Das letzte Mal, 2005 bis 2009, haben wir zum Beispiel das Versprechen gebrochen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Das war falsch.

Wann können wir mit dem Start einer neuen Regierung rechnen?

Mir kommt es auf zwei Wochen nicht an, denn Deutschland läuft deshalb nicht Gefahr, handlungsunfähig zu werden. Aber ich denke, das passiert noch in diesem Jahr.

Können Sie sich selbst eine Position in der neuen Regierung vorstellen?

Erstens können wir nicht verlangen, über Inhalte statt über Posten zu reden und es selbst anders machen. Zweitens: Ich bin Landes- und Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein. Beide Aufgaben mache ich sehr gern.

Etwa ein Jahr und vier Monate ist die SPD in Schleswig-Holstein wieder an der Macht. Ein kurzes Fazit zu dieser Zeit?

Wir haben viele soziale Kürzungen zurückgenommen und uns mit den Kommunen verständigt. Wir haben Gemeinschaftsschulen gestärkt und Oberstufen mit Abitur genehmigt. Ich glaube, wir haben in Schleswig-Holstein als SPD ein klares Profil, deshalb lagen wir bei der Bundestagswahl auch sechs Prozent über dem Bundesschnitt, das ist nicht selbstverständlich.

Dennoch ist die Regierungsmehrheit dünn und angreifbar - wie die Klage der Jungen Union gegen die Befreiung der SSW von der Fünf-Prozent-Hürde gezeigt hat, oder?

Das Ergebnis zählt, die Klage wurde abgewiesen und die Union steht als schlechter Verlierer da. Aus meiner Sicht war das ein Schuss in den Ofen. Vor allem aber finde ich: Die Koalition hat sachlich und zielorientiert gearbeitet. Das werden wir so auch weiterhin halten.

Inwiefern haben Sie als Landeschef relevante Themen für einzelne Regionen im Blick - für Geesthacht etwa den Bau der Umgehungsstraße oder den Rückbau des AKWs?

Ich mache mich regelmäßig selbst in der Region kundig und der örtliche Abgeordnete setzt Prioritäten. Mit Olaf Schulze haben wir einen erfahrenen Kollegen im Landtag. Bei dem Thema Straßenausbau ist die Konkurrenz natürlich groß. Wir können Mittel verstärken, aber sind auch abhängig vom Bundesverkehrswegeplan. Hier ist die Umgehung für Geesthacht, Schwarzenbek und Lauenburg im vordringlichen Bedarf. Zum Thema Rückbau ist unsere Position klar: So schnell wie möglich. Auch hier ist der örtliche Abgeordnete Olaf Schulz Experte. Wir setzen uns für eine Gesetzesänderung ein, die den Rückbau verpflichtend macht und einen Zeitrahmen definiert.

Sie sind auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebener aktiv - wie passt das in einen Arbeitstag?

Typischerweise beginnt mein Tag um 5.30 Uhr, gegen 8 Uhr werde ich abgeholt, fahre ins Landeshaus, nach Berlin oder nehme Termine in den Wahlkreisen wahr. Nach Hause komme ich oft erst gegen 22 Uhr. Ich arbeite viel vom Auto aus, bin oft permanent am Telefon. Und häufig gibt es Ereignisse oder Medienberichterstattung, die einen geplanten Tag noch einmal durcheinander wirbeln.

Ihre Doktorarbeit haben sie zum Thema "USA - Das Präsidentenamt im Spannungsfeld von moderner Fernsehdemokratie und kommerzialisierter PR-Show" geschrieben. Gibt es vergleichbare Tendenzen in Deutschland?

Viele Menschen erleben Politiker auch hier nur über das Fernsehen. Die Nähe fehlt. Es ist alles auch ein bisschen Theater, was man auch daran erkennt, dass Spaßparteien nur mit dem Argument: "Wir sind anders als die anderen", Wähler finden. Deshalb ist das Gespräch an der Haustür oder in der Fußgängerzone zwischen Politiker und Wähler so wichtig - für beide Seiten.