Afrika: Der Überlebenskünstler kämpft für sauberes Wasser und gegen Genitalverstümmelung - Mit Hilfe aus Geesthacht

Eine Brunnenwasseruntersuchung gehört für die Geesthachter Laborgemeinschaft Kramer zum alltäglichen Geschäft. Doch dieser Auftrag war besonders: "Die Wasserproben kamen direkt aus Äthiopien. Sie wurden am Vortag entnommen, am Folgetag mit dem Flugzeug nach Hamburg befördert und zu uns gebracht", erzählt Lars Baumann von der Abteilung für Umweltanalytik. Rüdiger Nehberg, bekannt durch sein Engagement für Indianer und Gründer der Organisation "TARGET" (siehe Kasten), hatte den Transport persönlich übernommen. Er wollte wissen, ob das Brunnenwasser für eine Geburtshilfestation in Äthiopien in Ordnung ist. Sein Projekt und seine Begeisterungsfähigkeit machten im Labor so großen Eindruck, dass die Analysen kostenfrei durchgeführt wurden. "Wir wollten durch unsere Fachtätigkeit etwas beisteuern", so Baumann. Für unsere Zeitung Anlass zu einem Gespräch mit Rüdiger Nehberg.

Vom "Sir Vival" zum Aktivisten für Menschenrechte: Wie kamen Sie zu Ihrem Kampf gegen Genitalverstümmelung?

Schon 1977 hat mir eine davon betroffene Frau in Äthiopien von diesem Brauch erzählt. Doch damals glaubte ich, als Fremder könne man sich nicht einmischen. Erst mein Engagement für ein bedrohtes Indianervolk in Brasilien hat mich gelehrt, dass Hartnäckigkeit und kreative Ideen zum Erfolg führen können. Niemand sollte sich für zu gering halten, etwas verändern zu können. Angeregt hat mich dann das Buch "Wüstenblume" von Waris Dirie, das 1998 erschien. Ich habe darauf gesetzt, die Kraft und Ethik des Islam zu nutzen, um diesen grausamen Brauch abzuschaffen. Er wird meist mit dem Koran gerechtfertigt. Aber im Koran steht davon keine Silbe.

Wie ist die Situation jetzt?

Wir haben in der islamischen Welt von Anfang an viel Zustimmung und absolute Kooperation erfahren. Zum Höhepunkt wurde unsere Konferenz in der Azhar zu Kairo, höchste Instanz der Sunniten. Die Elite der Geistlichen der Welt erklärte den Brauch zu einem "Verbrechen, das gegen höchste Werte des Islam verstößt". Ägyptens Großmufti Prof. Ali Gom'a hatte dafür sogar die Schirmherrschaft übernommen. Diese Konferenz haben wir dann dokumentiert im "Goldenen Buch", eine Predigtvorlage für Imame. Ali Gom'a hat es sogar mit einem Vorwort geehrt. Es wird uns aus den Händen gerissen. Es gibt mutige Imame, die zu Kämpfern gegen die Genitalverstümmelung geworden sind. Aber die Scham, über den Unterleib der Frau zu sprechen, ist bei vielen immer noch groß. Das erfordert Geduld, die ich nicht immer habe.

Warum wurde die Geburtshilfestation in Äthiopien gebaut?

Die Afar dort waren das erste Volk, das den Brauch geächtet hat. Zum Dank dafür haben wir zunächst eine fahrende Krankenstation eingerichtet, die jetzt seit elf Jahren unterwegs ist. Dort wurden wir Augenzeugen der wirklichen Dimension des Leides der betroffenen Frauen. Die Verstümmelung bedeutet lebenslanges Siechtum. Viele sterben. Das Urinieren dauert eine halbe Stunde, jeder Geschlechtsverkehr und das Gebären bringen neue Schmerzen und Verletzungen mit sich. Deshalb haben wir dann ein Großprojekt in Angriff genommen: die Geburtshilfestation. Dort können wir sogar Kaiserschnitte vornehmen. Insgesamt sind es neun Gebäude. Sie werden in absehbarer Zeit fertig werden.

Wer sind Ihre Kooperationspartner?

Vor Ort fungiert der Sohn meiner Frau, Roman Weber, als Bauleiter. Außerdem unterstützen uns Stammesführer und Bürgermeister. Und es ist eine Armee von Förderern vom Schüler bis zum Rentner. Der Berufsverband deutscher Frauenärzte wird uns ganzjährig mit Fachärzten kostenlos zur Seite stehen. Oder es sind Firmen wie die Laborgemeinschaft Kramer.

Sie haben Wasserproben aus den Brunnen bei der Geburtshilfestation mitgebracht - wie war das Ergebnis der Untersuchung in Geesthacht?

Es sind Proben aus 130 Metern Tiefe, das Wasser schmeckte sehr gut. Aber manche Werte waren nach deutschen Vorschriften überschritten, zum Beispiel für Bakterien und Arsen. Wir haben jetzt Filter eingebaut, die ihresgleichen suchen in ganz Äthiopien. Zum Glück hat das Labor die Proben kostenlos untersucht, so etwas hilft uns sehr.

Welche weiteren Projekte betreibt TARGET?

Im Regenwald Brasiliens betreiben wir eine Krankenstation für die Indianer. Außerdem arbeitet meine Frau Annette an einer orientalisch gestalteten Website, mit der das Goldene Buch für die islamische Welt überall verfügbar werden soll. Und ich bin mit Vorträgen unterwegs, um Förderer zu akquirieren.

Wie können andere Menschen helfen?

Wir finanzieren uns und unsere Arbeit ausschließlich über Spenden. Für 15 Euro kann jeder Fördermitglied werden. Manchmal sind das sogar Schüler, besonders die Mädchen. Sie sind zutiefst betroffen, wenn sie von der Genitalverstümmelung hören. Manche wollen dann keine Geschenke zum Geburtstag, dafür Spenden für TARGET.

Mit 78 Jahren kein Ruhestand in Sicht?

Was sind das denn für Vokabeln? Rente, Ruhestand, Alter - das sind für mich keine Themen. Ich würde verrückt werden, wenn ich nichts mehr zu tun hätte. Wir sind rund um die Uhr im Einsatz. Mein Ziel: Ich möchte das Ende dieses Verbrechens an Mädchen noch erleben.