Ausschreitungen: Schachzug der Opposition oder politisch-religiöser Konflikt?

Auch in der Teestube der Geesthachter Moschee wird über die Ausschreitungen diskutiert. In der Ecke zeigt der türkische Fernsehsender NTV die neusten Ereignisse. "Diese Demonstranten repräsentieren nicht die Gesamtheit der Türken", sagt Izzettin Bektas. Der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Union ist regelmäßig in Istanbul. Seine Tochter studiert dort. Auch Imam Ismail Kurtaran vermutet hinter den Straßenschlachten eher ideologische Aspekte oder politische Schachzüge der Opposition. "Am Anfang wollten sie für einen Park kämpfen und jetzt zerstören sie Läden. Wo soll da der Sinn sein?", fragt Kurtaran.

Hintergrund: Vor ungefähr einer Woche sollten auf dem Taksim-Platz, mitten im Herzen von Istanbul, einige Bäume für den Bau eines neuen Einkaufszentrums gefällt werden. Die Anwohner des Verkehrsknotenpunkts demonstrierten friedlich gegen die Baumfällarbeiten. Doch die Demonstration wurde von der Polizei brutal mit Wasserwerfern und Pfeffergas aufgelöst. Seitdem kommt die Türkei nicht mehr zur Ruhe.

Auch der Geesthachter Kaufmann Ali Aktas sieht in dem Kampf um den Taksim-Platz nur den Auslöser für ein weit größeres politisch-religöses Problem: "Erdogan lässt den Islam zu viel Einfluss auf die Politik nehmen." Die Türkei sei ein vielschichtiger Staat mit verschiednen Religionen und sehr unterschiedlichen islamischen Glaubensrichtungen, "und Erdogan vertritt nur die eigene Meinung". Recep Tayyip Erdogan ist seit dem 11. März 2003 türkischer Ministerpräsident.

Während die Demonstranten auf den Straßen Istanbul den diktatorischen Führungsstil des Vorsitzenden der Regierungspartei AKP anprangern, verurteilt diese die Unruhen in der Geesthachter Moschee als "nicht demokratisch", verweist auf die Ergebnisse der letzten drei Wahlen.

Oppositionspolitiker in Ankara bezeichnen die Auseinandersetzungen in der Zwischenzeit als "türkischen Frühling" - eine Analogie zu dem Volksaufstand gegen Diktator Muammar al-Gaddaffi in Libyen 2011 oder zum aktuellen Bürgerkrieg gegen das Assad-Regime in Syrien. Diese Einschätzung hält man in Geesthacht für übertrieben. "Die Mehrheit der Bevölkerung steht nicht hinter den Protestierenden", sagt Bektas. Auch Aktas hofft, dass sich "die Türkei wieder fängt". Auch wenn der 47-Jährige das Vorgehen der Istanbuler Polizei nicht gutheißen kann, so habe Erdogan mit seiner Politik in den letzten Jahren viel bewegt. Angst vor den Unruhen hat er nicht: Aktas fliegt am 12. Juni wieder geschäftlich nach Istanbul.