„Die Situation hat sich im vergangenen Jahr stetig verschlechtert. Beim Essen werden die Bewohner manchmal nur von einer Kraft betreut. Muss jemand auf die Toilette begleitet werden, sitzen alle anderen Bewohner ohne Aufsicht im Speisesaal, obwohl dort viele Menschen mit Demenz sind. Das ist unverantwortlich“, erzählt Annegret Hoffmann (Name geändert), die ein Elternteil in der Residenz untergebracht hat. „In der Pflege ist die Situation nicht anders. Drückt ein Bewohner den Klingelknopf, kann es eine Stunde dauern, bis ein Pfleger kommt. Dabei könnte ja ein Notfall vorliegen“, so Hoffmann. In den vergangenen Wochen habe sich die Situation weiter zugespitzt. „Gerade in den Nächten kann es dauern, bis aufs Klingeln reagiert wird. Ich habe für meinen Angehörigen kein gutes Gefühl.“
Auch Marianne Wilkens, die ebenfalls aus Angst nicht mit ihrem richtigen Namen an die Öffentlichkeit tritt, kritisiert gegenüber unserer Zeitung lange Wartezeiten. „Wenn ich für meinen Angehörigen in der Elbe-Residenz eine Schwester brauchte, musste ich oft lange suchen. Einmal habe ich die Klingel gedrückt, aber niemand kam. Später stellte sich heraus, dass das System gar nicht funktionierte.“
Eine langjährige Kraft aus dem Pflegeteam bestätigt die Vorwürfe, bittet aus Sorge um seine berufliche Zukunft aber darum, unter dem Pseudonym Jochen Martens genannt zu werden. „Nachts ist im gesamten Haus teilweise nur eine Nachtwache anwesend. Dabei müssten eigentlich drei Nachtwachen und eine ausgebildete Kraft vor Ort sein“, sagt der Mitarbeiter und begründet den Pflegenotstand: „Das Personal wurde in den vergangenen Monaten systematisch ausgedünnt. Gerade in den vergangenen Tagen haben mindestens drei Kräfte die Kündigung erhalten, teilweise ohne Angabe von Gründen“, so Martens.
In der Praxis seien nur sechs Pflegekräfte vor Ort
„Die Pflege ist dadurch gefährdet“, darauf machten die Mitarbeiter auch die Geschäftsleitung in Potsdam aufmerksam, unter anderem im August vergangenen Jahres mit einer offiziellen Überlastungsanzeige, die von dem stellvertretenden Pflegedienstleiter unterschrieben wurde. Darin heißt es beispielsweise: „Hiermit möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir uns wegen des derzeitigen Personalmangels nicht in der Lage sehen, alle notwendigen Aufgaben ordnungsgemäß und im Interesse der uns anvertrauten Bewohner(innen) gerecht zu werden.“ Um eine qualifizierte Pflege sicherzustellen, würden für die 83 Bewohner auf drei Stockwerken der Pflegebereiche zehn Mitarbeiter in zwei Schichten benötigt. In der Praxis seien es nur sechs, heißt es weiter in den internen Papieren, die unserer Zeitung vorliegen. Mehrarbeit und Überstunden seien demnach bereits voll ausgeschöpft. „Wir können die Verantwortung für möglicherweise auftretende Pflegefehler und Mängel in der Bewohnerversorgung nicht länger tragen und fordern sie höflich auf, Maßnahmen zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Personalbesetzung zu ergreifen“, heißt es weiter. Passiert sei nichts, berichtet Martens.
Stattdessen, so der Mitarbeiter, seien nur kritische Einträge aus den Dokumentationen verschwunden, die die Misere belegen könnten. Zudem sei der Druck auf das Personal erhöht worden, unter anderem in regelmäßigen Vier-Augen-Gesprächen mit einem Mitglied der Geschäftsführung aus Potsdam, berichtet Martens. Aus einem weiteren vorliegenden Vermerk geht hervor, dass die Geschäftsführung gegen den Protest der Mitarbeiter plante, eingespielte Teams zu trennen – einige der Angestellten drohten daraufhin schriftlich, zu kündigen. „Mein Eindruck ist, dass die Geschäftsführung das Personal wechselt wie andere Hemd und Socken“, sagt Wilkens.
Fontiva-Geschäftsführung weist die Kritik zurück
Die Geschäftsführung des in Potsdam ansässigen Trägers Fontiva weißt die Kritik vehement zurück. „Angehörige können die Abläufe oft nicht beurteilen“, sagt Prokurist Carsten Heinemann. Und auch von einem Personalengpass könne keine Rede sein, betont das Mitglied der Geschäftsführung. „Wir liegen in der Elbe-Residenz sogar mit vier Stellen über dem geforderten Stellenschlüssel“, so Heinemann im Gespräch mit unserer Zeitung. Laut Martens sei dies in der Praxis aber kaum relevant. „Der Krankenstand lag mitunter bei 50 Prozent, somit wird der Personalschlüssel nur auf dem Papier erfüllt“, sagt Martens.
Annegret Hoffmann fehlt für die Personalsituation jedes Verständnis, tritt die Elbe Residenz doch als modernes Haus mit Anspruch auf, das sich zudem gerade die Bestnote 1,0 des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen sichern konnte. „Die Aussagekraft ist aber sehr begrenzt, da nur nach dokumentierten Pflegeleistungen bewertet wird. Hinter die Kulissen guckt der Medizinische Dienst nicht“; so Martens. „Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Dabei gehört das Seniorenzentrum bei weitem nicht zu den günstigen Einrichtungen“, sagt Hoffmann. Rund 2000 Euro kostet ein Platz mit Pflegestufe 3, 500 Euro davon werden in den monatlichen Rechnungen als Kosten für Investitionen im Haus ausgewiesen – mehr als in vielen anderen Einrichtungen in der Region. „Demnach nimmt die Fontiva rund 500?000 Euro Investitionskosten im Jahr ein. Aber ich kann nicht erkennen, dass das wirklich ankommt.“ Das Haus sei vielfach auf Stand der frühen 90er-Jahre. „Ein Beispiel für fehlende Investitionen ist unsere Hausnotrufanlage, die seit zwei Jahren defekt ist. Das ist der Geschäftsführung bekannt“, sagt Martens. Von Seiten der Fontiva werden lange Wartezeiten dagegen zurückgewiesen, lange Wartezeiten in der Nacht gebe es laut Heinmann nicht.
Zahlungsrückstand bei den Stadtwerken
Finanzmittel scheinen dagegen eher ein Problem zu sein: Erst ein Jahr ist es her, dass in der Fontiva Elbe Residenz das Licht ausgehen sollte. Mehr als 130.000 Euro Zahlungsrückstand hatte das Seniorenheim an der Trift bei den Geesthachter Stadtwerken angehäuft. Als letzte Konsequenz drohte im März das Ende der Versorgung mit Strom und Fernwärme. Erst im letzten Moment überwies die Fontiva den offenen Betrag. „Aber auch weitere Rechnungen wurden nicht beglichen“, sagt Martens und nennt offene Forderungen von Zeitarbeitsfirmen und einer Großwäscherei als Beispiele. Fontiva-Geschäftsführerin Monika Egger bezeichnet die Probleme mit den Stadtwerken als „Missverständnis“, weitere Zahlungsschwierigkeiten weißt Heinemann zurück. „Wenn unsere Zahlungsabläufe den Lieferanten nicht passen, dann suchen wir uns andere Lieferanten. Da haben wir überhaupt keine Probleme.“
Zunehmende Zahl an Diebstählen
Große Sorge bereitet den Pflegern aber auch eine zunehmende Zahl an Diebstählen in der Einrichtung. „Früher hatten wir damit kein Problem. Aber seit einem Dreivierteljahr häufen sich die Fälle, gerade bei Demenz-Patienten, die sich nicht wehren können. Das ist ganz schlimm“, berichtet Jochen Martens. So verschwand am 22. Dezember bei einem Patienten eine hochwertige Uhr, wie auch ein Eintrag in die Pflegedokumentation belegt. „Das Perfide war, dass der Patient stattdessen plötzlich eine billige Uhr am Handgelenk hatte“, sagt Martens. Obwohl der Diebstahl vom Personal dokumentiert wurde, erfolgte keine Klärung. Angehörige erhielten auch nach Tagen keinen Rückruf der Pflegedienstleitung, um den Fall zu besprechen. „Wie bereits in der Vergangenheit wurde versucht, die Angelegenheit im Sande verlaufen zu lassen.“ So war im März bereits ein goldenes Armband verschwunden, eine andere Patientin vermisste mehrere wertvolle Stifte, im Oktober wurde ein gestohlener Ring angezeigt. Passiert sei auch in diesen Fällen nichts, betont Martens – Ende Januar verschwand eine goldene Kette. Martens macht dafür erneut die Personalpolitik verantwortlich: „Auf Anweisung der Geschäftsführung und gegen unseren Willen mussten wir zum Beispiel eine Kraft einstellen, die kein Führungszeugnis vorgelegt hatte, obwohl das in unserer Branche Pflicht ist“, sagt Martens. Hausleiterin Jutta Struve betätigte auf Nachfrage die Diebstähle. „Da mal etwas. Aber der Pflegedienst geht jedes Mal offen damit um und wir holen immer die Polizei hinzu“, so Struve.
Die Folgen der angespannten Situation in der Elbe Residenz bekommen derzeit auch die anderen Heimbetreiber in Geesthacht zu spüren. Auffällig häufig haben sie in den vergangenen Monaten Anfragen von Angehörigen erhalten, die Patienten von der Elbe Residenz in eine neue Einrichtung verlegen möchten.
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