Geesthacht. Die Kontrolllampen stehen auf Grün. In wenigen Wochen, ein genaues Datum gibt es noch nicht, soll das Atomkraftwerk Krümmel wieder Strom liefern - zur Freude der Eigentümer Vattenfall und E.on, zum Entsetzen von Umweltschützern, die den Reaktor verantwortlich machen für mittlerweile 19 Blutkrebsfälle bei Kindern und Jugendlichen seit 1989 in einem Fünf-Kilometer-Umkreis.

Zwei Jahre ist es am 28. Juni her, dass das abgeschaltete AKW keinen Strom mehr liefert. Jetzt ist Vattenfall - der Konzern betreibt das Kraftwerk - mit den erforderlichen Reparatur- und Sanierungsarbeiten fast fertig und wird die Wiederanfahrgenehmigung für die Anlage beantragen. Die Atomaufsicht in Kiel wird dann entscheiden, wann der Welt größter Siedewasserreaktor wieder Strom liefert.

Aus 30 000 Messdaten wurde rekonstruiert und am Schulungs-Leitstand immer wieder durchgespielt, was sich damals in Krümmel ereignet hatte. Durch einen Kurzschluss fielen die Trafos aus, die den Strom in das 400 000-Volt-Netz einspeisen. Dadurch wurde das AKW vom Netz getrennt und um 15.02 Uhr eine Reaktorschnellabschaltung eingeleitet. Innerhalb von zwei Sekunden stoppten die Steuerstäbe im Reaktordruckbehälter die Kettenreaktion. Seit der Inbetriebnahme 1983 gab es in Krümmel 24-mal ein "Notaus".

So lange wie jetzt stand das AKW noch nie still. Obwohl schnell ein Ersatztrafo betriebsbereit war, dauert der Stillstand an. Längst ist er zu einem Politikum geworden, nicht allein Sicherheitsfragen stehen im Fokus. Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) nutzte nach dem Brand die Chance, sozialdemokratische Interessen gegen die Atomkraft einzusetzen. Mit Unterstützung von Justizminister Uwe Döhring (SPD) gab es sogar eine Durchsuchung von Polizei und Staatsanwaltschaft im AKW. Hintergrund waren Gerüchte um Todesopfer, die sich nicht bewahrheiteten. Nach Befunden im AKW Biblis mussten auch in Krümmel Hunderte Dübel auf ihre Eignung geprüft und getauscht werden. Dazu kamen Risse an Armaturen.

Die Kieler Atomaufsicht steht unterdessen vor einem Dilemma: Die Beweislast, Zweifel in Sicherheitsfragen zu belegen, liegt bei der Landsregierung. Sie kann nur dann Nachrüstungen oder sogar eine Stilllegung von Atomkraftwerken verlangen, wenn sie nachweist, dass gravierende Sicherheitsdefizite bestehen. Vattenfall wiederum könnte die Atomaufsicht unter Zugzwang setzen, wenn das Unternehmen eine Verzögerungstaktik bei der Bearbeitung des Antrags annehmen würde. Dann könnte der Konzern, der zu 100 Prozent dem schwedischen Staat gehört, Schadensersatz in Millionenhöhe fordern.

Vattenfall sieht sich nach eigenem Bekunden der Aufklärung der Probleme in Krümmel verpflichtet. Der Betreiber hat dafür eine Experten-Kommission berufen. Das Gremium hatte Vorschläge gemacht, wie Arbeitsabläufe verbessert werden können. Aus gutem Grund: Jeder Tag Stillstand bedeutet einen Verlust von mehr als einer Million Euro.

Im Betrieb leistet das Kraftwerk 1400 Megawatt und kann gut drei Millionen Einfamilienhäuser mit 3500 Kilowattstunden Jahresverbrauch versorgen.