Lauenburg. Eine Urkunde, die im Landesarchiv aufgetaucht ist, weist darauf hin, dass es Juden deutlich früher im Norden gab, als vermutet.

Für Historiker ist der Fund eine kleine Sensation. Dabei war die Urkunde schon seit langer Zeit im Besitz des Landesarchivs Schleswig-Holstein. Diese soll belegen, dass es jüdisches Leben in Schleswig-Holstein deutlich früher als bisher angenommen gab –und zwar im Kreis Herzogtum Lauenburg. Jetzt ist die Urkunde durch einen Zufall ans Tageslicht gekommen. Für den Besuch des Antisemitismusbeauftragten des Landes, Dr. Gerhard Ulrich, durchsuchten die Mitarbeiter des Landesarchivs die Bestände – und stießen auf Sensationelles.

Bisher gingen Historiker nämlich davon aus, dass es jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Schleswig-Holsteins erst Ende des 16. Jahrhundert gegeben hat. Die nun gefundene Urkunde legt jedoch anderes nah. „Die Urkunde zeugt von einer Mitgift, die in eine Ehe eingebracht wird“, erklärt Dr. Ole Fischer vom Landesarchiv in Schleswig. In der Urkunde wurde festgehalten, dass der Burgmann Heine Schack zu Lauenburg Mitgift und Brautschatz in Höhe von 230 Mark Pfennige dem Knappen Hartwig von Plessen zu zahlen hat. Dies sollte seine Tochter mit in die Ehe mit Hartwig von Plessen einbringen. Diese Summe habe er bei christlichen oder jüdischen Geldverleihern als Kredit nehmen können.

Urkunde weist auf jüdisches Leben in Lauenburg vor 600 Jahren hin

Jener Hinweis, dass ein Kredit möglich ist, werten die Historiker als Indiz dafür, dass es bereits 1424 Juden im heute nördlichsten Bundesland gegeben hat. Möglich erscheint jedoch auch, dass es sich um eine formelle Notiz handelt. Gesichert ist damit jedoch, dass es mindestens Handelsbeziehungen mit Juden gegeben haben muss. Da die Hansestadt Lübeck in der Zeit um 1400 ein wichtiges Handelszentrum für Nord- und Mitteleuropa war, durchquerten auch viele Reisende das lauenburgische Gebiet.

Dass die Archivmitarbeiter nun auf die Urkunde gestoßen sind, hängt mit den sogenannten Metadaten einer Quelle zusammen, wie Ole Fischer erklärt. Wenn eine Quelle, zum Beispiel eine Urkunde oder andere Schriftstücke, in das Landesarchiv in Schleswig gelangen, werden die dazugehörigen Daten schriftlich festgehalten und auch digitalisiert. Anlässlich des Besuchs des Antisemitismusbeauftragten wurde diese Metadaten-Suchen angewandt und das Schriftstück wieder entdeckt. Über die Internetadresse arcinsys.schleswig-holstein.de sind die Archivbestände einsehbar. „Über die Suche hätte jeder die Gelegenheit, nach Quellen zu suchen“, sagt Ole Fischer.

Urkunde schon seit über 100 Jahren im Landesarchiv

Die Urkunde, die frühes jüdisches Leben im Lauenburgischen belegt, liegt schon seit vielen Jahren in Schleswig. „Wir gehen davon aus, dass diese 1877 oder 1881 in unsere Bestände gelangt ist“, sagt Fischer. Zuvor seien die Kanzlei der Lauenburgischen Regierung aufgelöst und das Archiv in Schleswig gegründet worden. „Daher ist es sogar möglich, dass Georg Hille als Gründer des Landesarchivs die Daten der Urkunde hier in Schleswig selbst erfasst hat“, sagt Ole Fischer.

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Dass das Schriftstück so lange unbemerkt in Schleswig lag, erklärt Fischer damit, dass das Landesarchiv – wie der Name sagt – ein Archivierungsauftrag habe. „Hier kommt sicherlich häufiger brisantes Material rein, dass dann aber erstmal nur erfasst wird“, sagt er. Allein schon aus Personalgründen sei es nicht möglich, auf jedes der vielen Millionen Schriftstücke einzugehen. Dies sei dann Aufgabe für die universitäre Forschung.