Landkreis Stade. Lücken im Stundenplan und Lehrer am Limit: Neue Statistik offenbart dramatische Lage. Landräte schreiben Brandbrief an Ministerin.

  • Der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern ist deutschlandweit zu einem akuten Problem geworden
  • Laut Prognosen der Kultusministerkonferenz werden den Bundesländern bis 2035 rund 68.000 Lehrkräfte fehlen
  • Besonders hart trifft es aktuell das Hamburger Umland

Große Lücken im Stundenplan und erschöpfte Lehrer am Limit: In Niedersachsen herrscht ein eklatanter Mangel an Lehrkräften. Das betrifft sowohl die öffentlichen allgemeinbildenden Schulen als auch die berufsbildenden Schulen und nahezu alle Fächerkombinationen, wie das Kultusministerium einräumt.

Laut aktuellen Zahlen aus Hannover fehlen im Land so viele Lehrkräfte wie nie zuvor seit Beginn der Statistik vor 20 Jahren. An die 500 Stellen sind unbesetzt. Und am schlimmsten ist es im Landkreis Stade. Der Kreis hält einen traurigen Negativrekord: Dort gibt es die schlechteste Unterrichtsversorgung in ganz Niedersachsen. Und daran soll auch Hamburg nicht unschuldig sein.

Schulen in der Krise: Nirgendwo läuft es schlechter als im Landkreis Stade

Dass sein Landkreis das landesweite Schlusslicht bei der Unterrichtsversorgung darstellt, bringt Stades Landrat Kai Seefried auf die Palme. Das hat er jetzt auch Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) mitgeteilt – gemeinsam mit Thorsten Krüger, dem Landrat des Landkreises Cuxhaven, der ebenfalls massiv vom Lehrermangel betroffen ist.

Die beiden haben einen Brandbrief an die Kultusministerin geschrieben, in dem sie nicht nur klagen, sondern auch konkrete Vorschläge für eine Verbesserung der Situation durch verschiedene regulative Maßnahmen machen.

Landrat Kai Seefried hat einen Brandbrief an die Kultusministerin geschrieben. Er will die schlechte Unterrichtsversorgung im Kreis nicht länger hinnehmen. 
Landrat Kai Seefried hat einen Brandbrief an die Kultusministerin geschrieben. Er will die schlechte Unterrichtsversorgung im Kreis nicht länger hinnehmen.  © LK Stade/Schmidt | LK Stade/Schmidt

Statistik belegt: Fast zehn Prozent des Unterrichts kann nicht gegeben werden

Nach der Schulstatistik lag die durchschnittliche Versorgung bei den allgemeinbildenden Schulen im Landkreis Stade zum Stichtag vom 31. August 2023 bei 90,3 Prozent, im Jahr zuvor waren es noch 92 Prozent gewesen. Das bedeutet, dass von vornherein fast zehn Prozent des Unterrichts nicht gesichert gegeben werden können. Hinzu kommen Ausfälle etwa im Krankheitsfall, die zusätzlich kompensiert werden müssen. Landesweit liegt der Durchschnitt bei der Unterrichtsversorgung bei 96,9 Prozent (2022: 96,3).

Im Landkreis Cuxhaven stellt sich die durchschnittliche Unterrichtsversorgung nur wenig besser dar als im Nachbarkreis. Dort lag die Versorgung mit 93,3 Prozent (2022: 91,2) ebenfalls deutlich unter dem Durchschnitt. „Dieser Umstand ist hinsichtlich der Lage des Landkreises Stade im Speckgürtel von Hamburg und der touristischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Landkreises Cuxhaven der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln“, so Seefried und Krüger.

Eltern bringt der Lehrermangel auf die Barrikaden

Eltern vor Ort bringt der eklatante Lehrermangel auf die Barrikaden. Sie fürchten, dass ihre komplette Region in Hannover vergessen wird und die Schulen in den überwiegend ländlich geprägten Gebieten einfach abgehängt werden. Mit Hamburg oder Bremen können Stade und Cuxhaven im Wettkampf um die Lehrkräfte kaum konkurrieren.

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Das tut weh: „Wir haben den aufgebrachten Eltern in unserer Region mitteilen müssen, dass unsere beiden Landkreise mittlerweile das Schlusslicht in Niedersachsen bilden“, schreiben die Landräte in dem Brief an Willie Hamburg, der dem Abendblatt vorliegt. Eine Aussicht auf Besserung fehlt: Nach den Berichten der unterschiedlichen Schulträger dürfte sich die Situation in diesem Jahr noch weiter verschlechtern, befürchten die Verwaltungschefs aus Stade und Cuxhaven.

Das Studienseminar Osnabrück hat Zahl der Ausbildungsplätze sogar erhöht

„Uns ist bewusst, dass es eine landesweit angespannte Situation bei der Stellenbesetzung in den Schulen gibt, sei es wegen der geringen Zahl von Studierenden für das Lehramt, sei es wegen des steigenden Anteils von Teilzeitkräften an den Schulen“, schreiben die Landräte. Bei Durchsicht der Statistiken hätten sie aber „zutiefst besorgt“ feststellen müssen, dass die Unterrichtsversorgung im Landesvergleich durchaus unterschiedlich ist.

Durch das Studienseminar in Stade mit Außenstelle in Cuxhaven wurde den beiden Landräten quasi täglich vor Augen geführt, dass die Zahl der examinierten Referendare kontinuierlich und deutlich zurückgegangen ist – in den vergangenen vier Jahren um fast zwei Drittel.

Wir sind gerne bereit, in Kooperation mit der Landesschulverwaltung eine Willkommenskultur für Referendarinnen und Referendare und Lehrkräfte in unseren Landkreisen zu etablieren.
Kai Seefried und Thorsten Krüger - Landräte der Kreise Stade und Cuxhaven

Dieses Problem kennen Studienseminare im Westen und Süden Niedersachsens aber offenbar nicht. Das Studienseminar Osnabrück hat die Zahl der Ausbildungsplätze wegen guter Bewerberlage sogar erhöht. Dagegen gestaltet sich die Nachbesetzung von Planstellen in Stade und Cuxhaven nach Aussage vieler Schulleitungen zunehmend problematisch – auch, weil die in der jeweiligen Region ausgebildeten Kräfte gern dort verbleiben.

Ende der Negativspirale: So sollen Lehrkräfte angelockt werden

Seefried und Krüger machen konkrete Vorschläge, wie eine gleichmäßige regionale Verteilung von Lehrkräften nach ihrer Meinung erreicht werden könnte. So soll die Zuweisung von Referendaren aus Regionen mit besserer Bewerberlage an Studienseminare mit noch freien Ausbildungsplätzen wieder eingeführt und dabei das Studienseminar Stade und die Außenstelle Cuxhaven besonders berücksichtigt werden, fordern Seefried und Krüger.

Die Landräte von Stade und Cuxhaven fordern Maßnahmen gegen den Lehrermangel und haben im Kultusministerium Vorschläge dazu vorgelegt.
Die Landräte von Stade und Cuxhaven fordern Maßnahmen gegen den Lehrermangel und haben im Kultusministerium Vorschläge dazu vorgelegt. © picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

In besser versorgten Regionen soll zudem ganz auf die Erhöhung von Studienseminarplätzen verzichtet werden. Die Referandarausbildung in „Mangelgebieten“ könne zudem über Zulagen oder ein Wartezeitmodell mit verkürzten Wartezeiten attraktiver gemacht werden.

Wie lockt man fertig ausgebildete Lehrer in den Landkreis Stade?

Und auch fertig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer könnte ein vom Land aufgestocktes Gehalt nach Stade und Cuxhaven locken, meinen die Landräte. „Wir sind gerne bereit, in Kooperation mit der Landesschulverwaltung eine Willkommenskultur für Referendarinnen und Referendare und Lehrkräfte in unseren Landkreisen zu etablieren“, so Seefried und Krüger. Eine Maßnahme könne ein gezieltes Marketing sein – auch in Hamburg und Bremen.

Die Landräte wollen den häufig angeführten Hinweis, dass jegliche Steuerung und Ausübung von Druck auf potenzielle Bewerber die „Flucht“ nach Bremen oder Hamburg noch verstärken würde, nicht gelten lassen. Das Festhalten an bestehenden Abläufen würde ohne „entschiedenere regulatorische Maßnahmen“ jedenfalls zu keiner Verbesserung führen. „Aber die Frustration über die staatliche Handlungsfähigkeit in der Bevölkerung würde sich noch weiter verstärken“, befürchten die beiden Verwaltungschefs.