Rotenburg/Scheeßel. Bundeswehrsoldat soll im Kreis Rotenburg auch ein Kind getötet haben. Munition und Molotow-Cocktail entdeckt, Haftbefehl erlassen.

Der Garten des Einfamilienhauses in der niedersächsischen Gemeinde Scheeßel sieht im ersten Moment wie eine kleine Idylle aus: Ein Schaukelgerüst steht auf dem Rasen, ein Trampolin mit Sicherheitsnetz, überall liegen bunte Bälle verstreut. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern. Doch das Gelände ist mit rot-weißem Absperrband der Polizei gesichert, und über das aufgeweichte Gras laufen Beamte in weißen Schutzanzügen.

Die Ermittler sichern die Spuren einer unfassbaren Tat, die sich am Freitag in den frühen Morgenstunden ereignete: Ein Bundeswehrsoldat (32) steht im Verdacht, insgesamt vier Menschen im Landkreis Rotenburg (Wümme) erschossen zu haben. Unter den am Freitag entdeckten Toten sei auch ein drei Jahre altes Kind, sagte Staatsanwalt Alexander Hege dem Abendblatt.

Ermittler sichern Spuren an einem der Tatorte in der Gemeinde Scheeßel.
Ermittler sichern Spuren an einem der Tatorte in der Gemeinde Scheeßel. © DPA Images | Helen Hoffmann

Bundeswehrsoldat erschießt vier Menschen, darunter ein Kind (3)

Die anderen Opfer sind zwischen 30 und 55 Jahre alt. In welchem familiären Verhältnis die Toten zu dem mutmaßlichen Täter stehen, ist noch unklar. „Eine Motivlage im familiären Umfeld kann nicht ausgeschlossen werden“, sagte Hege zunächst lediglich.

Der mutmaßliche Angreifer habe sich nach der Tat in der Nacht auf Freitag gestellt und sei im direkten Umfeld der Von-Düring-Kaserne nördlich von Rotenburg festgenommen worden, so Hege weiter. Nach Angaben der Polizei soll der 32-Jährige jedoch nicht dort stationiert sein. Unter anderem ist das Jägerbataillon 91 in der Kaserne untergebracht. Eine Sprecherin des Heeres der Bundeswehr bestätigte, dass es sich bei dem Verdächtigen um einen ihrer Soldaten handelt.

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Am Freitagmittag erließ der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Verden gegen den Beschuldigten dann einen Haftbefehl wegen Mordes in vier Fällen. Der 32-Jährige wurde daraufhin in eine Justizvollzugsanstalt überführt. Ob er die Taten gestanden oder sich auch anderweitig geäußert hat, ist auch am Sonnabendmorgen nicht bekannt.

Die Polizei durchsuchte die von Düring-Kaserne in der Nähe von Rotenburg.
Die Polizei durchsuchte die von Düring-Kaserne in der Nähe von Rotenburg. © HA | Joto

Verteidigungsminister Pistorius: „Einfach grauenvoll“

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) drückte am Freitag als einer der ersten seine Bestürzung über die Tat des Soldaten aus. „Die mehrfache Tötung von unschuldigen Menschen in Scheeßel ist einfach grauenvoll“, sagte der ehemalige niedersächsische Innenminister laut Mitteilung einer Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums. „Ich habe davon heute Morgen ganz früh erfahren. Ein Bundeswehrsoldat ist der mutmaßliche Täter.“

Vieles spreche für eine Tat im Kontext einer privaten Beziehung, sagte Pistorius. Dies müsse aufgeklärt werden. Falls es sich bestätige, dass der Hintergrund der Tat eine Trennung war, wäre das wieder ein schrecklicher Mord an Frauen, weil sie eine Beziehung beendet haben, so der Verteidigungsminister. „Aber das ist alles Spekulation, daran will und kann ich mich jetzt nicht beteiligen“, sagte der Minister. „Mein Mitgefühl ist bei den Angehörigen der Opfer, so ein Verbrechen ist einfach furchtbar.“

Rotenburg: Bundeswehrsoldat erschießt vier Menschen: Zwei Tatorte im Kreis Rotenburg

Nach dem aktuellen Erkenntnisstand gibt es zwei Tatorte – einen in dem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel und einen in Brockel, Teil der Samtgemeinde Bothel. Vermutlich fuhr der Bundeswehrsoldat mit seinem Wagen zwischen 3 und 4 Uhr morgens von einem Ort zum anderen.

In einem Einfamilienhaus in Scheeßel starben ein 30 Jahre alter Mann und eine 55 Jahre alte Frau.
In einem Einfamilienhaus in Scheeßel starben ein 30 Jahre alter Mann und eine 55 Jahre alte Frau. © dpa | Sina Schuldt

In Scheeßel starben ein 30 Jahre alter Mann und eine 55 Jahre alte Frau. Mitten in der Nacht, etwa um halb vier am Freitagmorgen, seien seine Eltern aus dem Schlaf hochgeschreckt, erzählt ein Nachbar. Mehrere Schüsse fielen. „Man denkt, wenn man so was hört, dass das total weit weg ist“, sagt der 22-Jährige. „Aber dann aus dem Fenster zu gucken, wenn das so zwei Meter von einem entfernt ist – das ist natürlich ein ganz anderes Gefühl.“

Mit Blumen und Kerzen haben Menschen der Opfer gedacht. Vor einem Haus in Scheeßel waren ein Blumenstrauß und ein paar Kerzen abgestellt, berichtete am Sonnabend ein dpa-Fotograf. Ein Zettel mit der Aufschrift „Wir sind in Gedanken bei euch! Eure Nachbarn“ war ausgelegt. Ein Polizeistreifenwagen stand vor dem versiegelten Haus. Auch vor dem zweiten Tatort in der wenige Minuten entfernten Samtgemeinde Bothel standen Kerzen vor dem Haus.

An mehreren Orten im Kreis Rotenburg kam es zu Polizeieinsätzen.
An mehreren Orten im Kreis Rotenburg kam es zu Polizeieinsätzen. © HA | Joto

Im Nachbarort Brockel wurden laut Staatsanwaltschaft das tote Kind und seine 33 Jahre alte Mutter gefunden. Was genau sich in den Häusern abspielte, ist noch unklar. Auch in Bothel sicherten Ermittler noch am Freitagmittag Spuren in dem schlichten Backsteinhaus.

Polizei und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort.
Polizei und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort. © HA | Joto

Bundeswehrsoldat erschießt vier Menschen: Festnahme in Kaserne

In der Nacht zu Freitag hatte es an den unterschiedlichen Tatorten mehrere Großeinsätze der Polizei gegeben. Mit Maschinenpistolen bewaffnet waren Beamte an den Wohnhäusern sowie am Rotenburger Bahnhof angerückt. Auch zahlreiche Rettungskräfte waren vor Ort. Die Lage war ausgesprochen angespannt, berichten Zeugen.

Das mutmaßliche Tatfahrzeug des Verdächtigen (vorne) steht vor der Von-Düring-Kaserne.
Das mutmaßliche Tatfahrzeug des Verdächtigen (vorne) steht vor der Von-Düring-Kaserne. © DPA Images | Sina Schuldt

Am Morgen sperrte die Polizei dann die Von-Düring-Kaserne ab. Sprengstoffexperten, Feldjäger und Polizisten sicherten die Zufahrt. Zur Kaserne war der Verdächtige wohl nach seinen Taten gefahren, hatte seinen Wagen davor abgestellt und sich dann bei der Wache gemeldet. Die rief die Polizei, die den 32-Jährigen festnahm.

Ein Blick ins Innere des Fahrzeugs. In der Tür steckte eine Flasche, die wie ein selbst gebastelter Molotow-Cocktail aussieht.
Ein Blick ins Innere des Fahrzeugs. In der Tür steckte eine Flasche, die wie ein selbst gebastelter Molotow-Cocktail aussieht. © DPA Images | Sina Schuldt

Rotenburg: Bundeswehrsoldat erschießt vier Menschen: Molotow-Cocktail im Auto

In dem Wagen des Soldaten wurden mehrere Packungen Munition sowie ein selbst gebastelter Molotow-Cocktail gefunden. Die Patronen lagen im Kofferraum neben einem Bundeswehrrucksack. Die Flasche mit dem explosiven Inhalt steckte in einem Seitenfach der Fahrertür. Es könne nur spekuliert werden, warum der Molotow-Cocktail in dem Auto gelegen habe, sagte der Sprecher der Polizeiinspektion Rotenburg. Auch sei unklar, ob Schusswaffen und Munition des Mannes aus der Kaserne stammen.

In dem Auto entdeckte die Polizei Munition.
In dem Auto entdeckte die Polizei Munition. © DPA Images | Sina Schuldt

Für die Nachbarn in Scheeßel ist die Ungewissheit nur schwer zu ertragen. Wer ist im Haus nebenan gestorben? „So ein Schuss mit einer scharfen Waffe ist ja jetzt nie nur eine leichte Schramme“, grübelt der 22 Jahre alte Anwohner. In den ersten Stunden hätten ihn Hunderte Nachrichten erreicht, er selbst könne kaum noch an was anderes denken. Was waren die Hintergründe der Tat? Was wäre passiert, wenn er oder andere Nachbarn zu dem Zeitpunkt draußen gewesen wäre? „Das sind alles Sachen, die will man sich irgendwie gar nicht ausmalen.“