Landkreis Harburg

Schulsozialarbeit – so wichtig, so unsicher

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Helena Davenport
Viele Schulsozialarbeiter warten jahrelang auf gesicherte Arbeitsverhältnisse. (Symbolbild)Lars HeidrichFUNKE Foto Services

Viele Schulsozialarbeiter warten jahrelang auf gesicherte Arbeitsverhältnisse. (Symbolbild)Lars HeidrichFUNKE Foto Services

Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Paradebeispiel: An der Grundschule Pattensen klagt eine Schulsozialarbeiterin über ihr unsicheres Arbeitsverhältnis. Doch die Schule braucht sie

Winsen/Landkreis Harburg.  Mit Corona ist noch sichtbarer geworden, wie wichtig Sozialpädagogik an Schulen ist. Viele Kinder waren plötzlich auf sich gestellt, sie verloren den Anschluss, benötigten Unterstützung. Eltern waren überlastet. Andere Kinder wurden während der Pandemie eingeschult, einen regelmäßigen Schulalltag lernten sie erst sehr viel später kennen und sollten sich plötzlich in ihm zurechtfinden. Gefragt war jemand, der sie an die Hand nahm.

Auch im Landkreis Harburg erfüllen Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter wichtige Aufgaben an Schulen. Sie leisten Hilfe bei Ängsten, in Mobbing-Fällen und bei Gefahren, denen sie zu Hause ausgeliefert sind – allerdings nicht immer unter guten Arbeitsbedingungen. In Winsen beispielsweise klagen Schulsozialarbeiter über befristete Verträge, die jedes Jahr erneuert werden müssen, und halbe Stellen, die es ihnen nicht erlauben, der Masse an Aufgaben gerecht zu werden. Das Problem: Eigentlich hatte das Land Niedersachsen bereits vor Jahren zugesagt, die Stellen zu übernehmen, doch bisher sichern die Stadt Winsen und der Landkreis Harburg vorübergehend die Stellen. Man wartet auf eine Reaktion vom Land.

„Will man jetzt Schulsozialarbeit oder nicht?“

„Will man jetzt Schulsozialarbeit oder nicht?“, fragt Melanie Moran. Sie füllt seit 2019 eine halbe Stelle an der Grundschule Pattensen aus. Moran ist sowohl Ansprechpartnerin für die Schülerinnen und Schüler als auch für Eltern und Lehrpersonal. Dabei liegt das soziale Miteinander an der Schule zu großen Teilen in ihren Händen, sie bildet Streitschlichter aus und bemüht sich, so sagt sie selbst, eine Streitkultur unter den Kindern zu entwickeln. Andererseits kümmert sie sich um die Angelegenheiten von Einzelnen, um Konfliktlösungen zwischen Eltern und Lehrern und Lehrern und Kindern. Sie ist in der Lehrerberatung tätig, unterstützt etwa beim Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern, ebenso berät sie Eltern bei Erziehungs- und schulischen Schwierigkeiten. Insofern ist Moran auch die Schnittstelle zu Jugendamt, Ärzten, Therapeuten.

Insbesondere im sogenannten Brückenjahr, im Vorschuljahr, arbeite sie viel, berichtet Moran. Da kooperiere sie mit den Kindergärten, um die Scheu vor dem Schulbeginn abzubauen. Daraufhin begleitet sie intensiv die ersten Klassen, ist auch hin und wieder im Unterricht mit dabei, unter anderem um als Ansprechpartnerin bei Problemen sichtbar zu sein. „Damit Schule nicht negativ besetzt wird und es zu einer Verweigerungshaltung kommt, die dann zu einer negativen Schulkarriere führen kann“, sagt Moran.

Sozialpädagogin kümmert sich auch um Prävention von sexuellem Missbrauch

Allein diese Aufgaben machen ein weites Feld aus, die Grundschule Pattensen zählt 181 Schüler, davon befinden sich 122 in der Ganztagsbetreuung, eine sehr kleine Gruppe hat sonderpädagogischen Förderbedarf. Und Moran gehört nicht etwa einem Team an, sie ist mit 19,5 bezahlten Arbeitsstunden pro Woche für jegliche Konflikte zuständig. Zu denen, die man auf Anhieb an einer Schule vermutet, kommen noch die, die sich im Verborgenen abspielen, die möglicherweise gar nicht oder erst zu spät wahrgenommen werden würden, wäre sie nicht an der Schule tätig: häusliche Probleme bis hin zur Kindeswohlgefährdung. Die Sozialpädagogin kümmert sich auch um Prävention von sexuellem Missbrauch. Sie spricht mit den Kindern über Grenzen, die sie selbst setzen können. Wo sind Berührungen okay? Wo nicht mehr? Was können sie tun, wenn Grenzen überschritten wurden? Wo finden sie Hilfe?

Darüber hinaus ist Moran Vermittlerin zwischen der Schule und Familien mit Migrationshintergrund. „Wenn kulturelle Unterschiede bestehen, funktionieren unsere Standards halt nicht mehr“, sagt sie. In Pattensen haben lediglich fünf Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund, an anderen Schulen spielt die Vermittlung eine größere Rolle. An der Grund- und Oberschule am Ilmer Barg in Roydorf werden 23 Nationen zusammen unterrichtet, über 60 Prozent der Schüler haben Migrationshintergrund. An der Alten Stadtschule, ebenfalls in Winsen, ist der Anteil ähnlich groß, 35 Prozent der Schüler sprechen kein oder nicht ausreichend Deutsch. In Roydorf steht 311 Grundschülern, wie den 181 Grundschülern in Pattensen, eine Sozialpädagogin, als halbe Kraft tätig, zur Verfügung. An der Alten Stadtschule kommen zwei Sozialpädagoginnen mit zusammen eineinhalb Stellen auf 406 Grundschüler.

Mit einer halben Stelle funktioniert es nicht

Alle drei Winsener Grundschulen hatten sich Anfang September bei einer Sitzung des Ausschusses für Schulen und Kindertagesstätten der Stadt Winsen vorgestellt, um darauf hinzuweisen, wie wichtig Schulsozialarbeit ist, wie viele Arbeitsbereiche es gibt, die abgedeckt werden wollen. „Das ist nämlich das Problem“, beschreibt Sabine Schwarz, Schulleiterin der Grundschule Pattensen, „die Schulsozialarbeiterin muss sich entscheiden: Soll ich mich jetzt um den Streit in der Klasse kümmern oder lieber um die Eltern, die ein Problem mit ihrem Kind haben?“ Mit einer halben Stelle funktioniere es nicht, allen Bereichen gerecht zu werden, sagt Schwarz. Auch nachmittags gebe es Probleme zu bewältigen – wenn Morans Arbeitstag bereits geendet hat. „Wobei wir natürlich dankbar sein müssen, dass wir Frau Moran haben. Der Schulträger bezahlt die halbe Stelle, weil das Land noch nicht für sie einsteht“, betont die Schulleiterin. Dabei wünsche sie sich, dass Melanie Moran eine volle Stelle bekommt und einen unbefristeten Vertrag.

Eigentlich hatte das Land Niedersachsen im Jahr 2016 angekündigt, Schulsozialarbeiter, insbesondere an Grundschulen und Gymnasien, nach und nach in den Landesdienst zu nehmen. Allerdings geht diese Übernahme, von außen betrachtet, schleppend voran. In Winsen beispielsweise beschäftigt das Land laut Ulrich Schubert, Pressesprecher des Landes, acht Sozialarbeiter an sieben Schulen, auch an drei Grundschulen. Insgesamt zählt die Stadt aber zwölf Schulen, darunter fünf Grundschulen. Man habe die 2016 vereinbarten Ziele vollständig umgesetzt und sogar übertroffen, schreibt Schubert. „Zugleich erschwert der bundesweit gegebene Fachkräftemangel allerdings die Besetzung aller Angebote, so dass Auswahlentscheidungen nicht immer vermeidbar sind.“ Mittlerweile seien 1378 Fachkräfte für Schulsozialarbeit an 1144 Schulen beschäftigt.

Schulsozialarbeiter an insgesamt 26 Schulen

Die Stadt Winsen beschäftigt neben Moran zwei weitere Schulsozialarbeiterinnen. „Die Zuständigkeit und damit auch die grundsätzliche Verantwortung zur Kostenübernahme ist aber für uns klar“, heißt es in einem Schreiben von Sonja Arvidson, Winsens stellvertretener Pressesprecherin, „wir erhoffen uns insoweit ein unmittelbares Handeln der neuen Landesregierung beziehungsweise des neuen Landtages nach der Wahl am 9. 10.“ Die derzeitige Anstellung sei zwar durch die Stadt und den Landkreis Harburg abgesichert. „Aus diesem Entgegenkommen von der Stadt und dem Landkreis sollte das Land aber keine Begründung für weiteres Nichtstun herleiten, sondern schnellstmöglich entsprechend der eigenen Zuständigkeit finanzielle Verantwortung übernehmen.“

Schaut man auf den gesamten Landkreis Harburg, beschäftigt das Land Schulsozialarbeiter an insgesamt 26 Schulen. Einen festen Personalschlüssel gibt es laut Schubert nicht. Dabei forderte der Bundeskongress Schulsozialarbeit, der in Dortmund unter anderem von dem Kooperationsverbund Schulsozialarbeit veranstaltet wurde, schon 2015 den Ausbau der Schulsozialarbeit an allen Schulen mit mindestens einer unbefristeten Vollzeitstelle je 150 Schüler.

Sie habe eine Kollegin, die seit zehn Jahren an ein und derselben Schule immer wieder befristete Verträge erhalte, berichtet Moran. Ihre eigene Vorgängerin zog die Konsequenzen und beendete aufgrund der unsicheren Situation ihr Arbeitsverhältnis. Es gebe ja genug andere Angebote für Sozialpädagogen, sagt Schulleiterin Sabine Schwarz.

Probleme in der Schule, in Familien – gab es die nicht schon immer?

Aber was kann sich so groß verändert haben? Probleme in der Schule, in Familien – gab es die nicht schon immer? Schwarz antwortet wie aus der Pistole: Trennungen seien große Belastungen. Und dann würden sich wieder neue Partnerschaften, auch unter den Eltern in der Schule, bilden. Dabei gebe es strittig getrennte Eltern und auch Eltern in neuen Patchworkfamilien, die alles gut unter einen Hut kriegen. „Die Lehrkräfte schaffen es nicht, sich auch noch mit den Gegebenheiten der Eltern auseinanderzusetzen“, sagt Schwarz. Das sei nicht zu schaffen. Sie habe auch oft Einzeltermine mit Kindern, berichtet Moran aus ihrem Berufsalltag, und kläre anhand von Familienaufstellungen die eigene Position des Kindes. Bei anderen Terminen gehe es auch mal darum, Gefühle zu sortieren.

Oft habe sie auch mit Erziehungsschwierigkeiten zu tun oder andersherum mit Klagen vonseiten der Kinder, dass ihnen nicht genug Aufmerksamkeit von den Eltern entgegengebracht wird, sagt Moran. Aber auch Mobbing kam schon vor, Kindeswohlgefährdung musste mehrmals gemeldet werden, Fälle von sexuellem Missbrauch, an Kindern und durch Kinder. Die Weltgesundheitsorganisation geht von einer Million Mädchen und Jungen in Deutschland aus, die missbraucht werden. „Das wären ein bis zwei Kinder pro Schulklasse“, schließt Moran.

Dass nicht mehr finanzielle Mittel in Schulsozialarbeit fließen, ist eigentlich unverständlich. „Wenn Probleme nicht früh behandelt werden, müssen später im Jugendalter teure Maßnahmen stattfinden.“ Es könnte also wesentlich teurer werden, wenn Kinder ihre Probleme weiter mit sich herumschleppen müssen.