Corona

Ärger um die „Montags-Andachten“ von Hittfeld

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Lena Thiele
Rund 75 Menschen versammelten sich am 17. Mai in Hittfeld. Rund 20 Personen störten die coronakritische Versammlung mit Plakaten.

Rund 75 Menschen versammelten sich am 17. Mai in Hittfeld. Rund 20 Personen störten die coronakritische Versammlung mit Plakaten.

Foto: Andre Lenthe Fotografie / André Lenthe Fotografie

Corona-Regeln im Fokus der Kritiker: Demos führen mehrfach zu Polizeieinsätzen. Warum mancher Politiker Verständnis dafür hat.

Hittfeld.  Die regelmäßigen Treffen einer Gruppe in Hittfeld, bei denen Teilnehmer die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie kritisieren, sorgt für Wirbel in Seevetal. Mehrere Kommunalpolitiker sagen auf Abendblattnachfrage, dass sie die Inhalte nicht teilen. Andere äußern auch Verständnis. Alle Befragten verweisen auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit.

Seit Anfang Februar gab es laut Polizei 13 Versammlungen, die bei der Gemeinde Seevetal angemeldet wurden. Die Teilnehmer treffen sich immer montags – zu Beginn wöchentlich, zuletzt 14-tägig – auf dem Bürgermeister-Hermann-Meyer-Platz in Hittfeld zur „Mahnandacht Corona-Maßnahmen“. „Die Versammlung wurde ordnungsgemäß für zunächst 30, später 50 Personen angemeldet“, sagt Bürgermeisterin Martina Oertzen.

Polizei zeigt bei den Versammlung immer Präsenz

Die Polizei war jeweils mit zwei bis drei Streifenwagen vor Ort, um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen, die störungsfreie Durchführung zu ermöglichen, und auf die Einhaltung von Auflagen hinzuwirken. So tragen viele Teilnehmer keine Maske. Laut Polizei hätten aber alle Angesprochenen Atteste vorzeigen können. „Bei zwei der Versammlungen hatte die Polizei zudem Erkenntnisse zu möglichen Störungen oder Gegenkundgebungen“, sagt Polizeisprecher Jan Krüger. Am 17. Mai waren etwa 20 Gegendemonstranten aus dem Umfeld der Antifa vor Ort. Die Polizei zeigte deutlich mehr Präsenz und trennte die Gruppen.

Warum gibt es aus der Zivilgesellschaft aber kaum Reaktionen? Fragt sich Fritz Tietz, der in Hittfeld Mahnwachen zum Gedenken der Corona-Toten organisiert hatte. Er fordert kein Verbot der Treffen. Es sei aber unverständlich, dass dort von „Plandemie“ gesprochen werde und dies kaum eine Gegenreaktion hervorruft. Zweimal war er bei den Treffen, vom 29. März liegt dem Abendblatt eine Tonaufnahme vor.

Eine Rednerin stellt die Existenz des Corona-Virus infrage

Eine Rednerin stellt die Existenz des Corona-Virus infrage und spricht von „Folter“, die der „Maskenzwang“ für Kinder bedeute. Eine andere Teilnehmerin nennt die Maßnahmen der Bundesregierung „irrational“, sieht demokratische Rechte missachtet und wirft Politikern vor, zu lügen. Ein Mann ruft dazu auf, das eigene Vermögen aufgrund der derzeitigen Politik „in Sicherheit zu bringen“. Auch wird bezweifelt, ob eine Pandemie existiert. Es sind Äußerungen, wie sie bei den bundesweit organisierten „Querdenker“-Demos fallen.

Einige Politiker distanzieren sich deutlich davon. „Inhaltlich bin ich damit nicht einverstanden. So schlimm die Lockdowns sind, ohne die Maßnahmen wäre es noch schlimmer gekommen“, sagt Kay Kelterer, Vorsitzender der Gruppe aus Grünen und Linken im Rat. Es sei wichtig, bundesweit einheitliche Regeln zu schaffen und mit Aufklärung dafür zu werben. Über sinnvolle Anträge, wie den Einsatz von Luftfiltern, könne der Rat diskutieren. Für Maskenverweigerer habe er kein Verständnis.

CDU: Grundsätzlich nichts an Mahnwachen zu beanstanden

„So geht das nicht“, sagt SPD-Fraktionschef Klaus-Dieter Kirchhoff. Der Tenor der Treffen entspreche nicht der Haltung seiner Partei. „Wir müssen durchsetzen, was der Bund und das Land beschließen.“ Der schnelle Aufbau der Testzentren sei ein Beispiel dafür. „Die meisten Menschen sind froh, wenn sie sich testen lassen können.“ Auch Fritz Becker (FDP) trägt die Maßnahmen in ihrer Summe mit: „Das Ergebnis zeigt, dass sie wirken. Wir sind auf einem guten Weg. Für Leute, die das Virus nicht so schlimm finden oder die Pandemie leugnen, habe ich wenig Verständnis.“

Grundsätzlich gebe es an den Mahnwachen nichts zu beanstanden, sagt CDU-Fraktionschef Frank Schmirek. „Dazu, was dort geäußert wird, kann sich jeder seine Meinung bilden.“ Auch das Meinungsbild im Rat sei von differenzierten Ansichten geprägt. „Solange sich das im Rahmen der demokratischen Spielregeln bewegt, ist jedem eine Meinung zugestanden“, sagt er.

Von Seiten der Freien Wähler kommt Verständnis

Von Seiten der Freien Wähler kommt Verständnis. Bei der Bekämpfung der Pandemie seien viele Fehler passiert, sagt Willy Klingenberg. „Dass das im Rahmen einer Mahnwache kritisiert wird, ist legitim.“ So störe ihn, dass die Schulen noch immer nicht mit Virenfiltern ausgestattet seien. Auch verweist er auf das Hin und Her bei der Maskenpflicht, von der Abgeordnete profitiert hätten. Zudem habe die Regierung den Lockdown viel zu spät angeordnet. Auch hier vermutet Klingenberg als Grund Interessen der Politiker. „Hätte man früher reagiert, hätte man unsinnige Maßnahmen vermeiden können. So ist ein wahnsinniger Kollateralschaden entstanden.“

„Ich kann die Kritik nachvollziehen“, sagt Timo Röntsch, Bürgermeisterkandidat der Freien Wähler. So sei es unverständlich, dass Urlauber nach Mallorca fliegen durften, während Ferienwohnungen im Norden geschlossen blieben. Auch Kinder litten unter den Einschränkungen. „Ich akzeptiere die Maßnahmen und verstehe auch den Großteil, kann aber nicht alle nachvollziehen.“

Auf die Folgeschäden weist Medizinerin hin

Auf die Folgeschäden weist auch Irmelin Schütze (Freie Wähler) hin. „Ich bin überzeugt, dass die Maßnahmen im besten Wissen und Gewissen ergriffen wurden. Aber anfangs war die Informationslage schwierig, es wurde viel versäumt und Fehler gemacht.“ Als Ärztin sehe sie, dass Menschen mit anderen Beschwerden sich zu spät behandeln ließen, auch Kinder und Jugendliche seien stark belastet. „Es gibt keine Hierarchie des Leids. Aber man muss seine Sorgen äußern dürfen. Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Menschen auf Missstände aufmerksam machen wollen.“

„Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist ein hohes und schützenswertes Gut, welches es auch während einer Pandemie zu verteidigen gilt“, betont Bürgermeisterin Martina Oertzen. „Dass ich mir die Meinung der Demonstrierenden privat nicht zu Eigen mache, liegt auf der Hand. Ich zweifele die weltweite Pandemie nicht an.“

Initiative „Menschen im Dialog“ ruft zu den Hittfelder Versammlungen auf:

  • Hinter den Versammlungen steht die Bürgerinitiative „Menschen im Dialog“. Sie setzt sich nach eigenen Angaben für Demokratie, Toleranz und freie Meinungsäußerung ein. Im Zentrum stehe „das Wohl und die Gesundheit aller Menschen“, heißt es in ihrer Selbstbeschreibung.
  • Unsere Aufgabe sehen wir aber auch im Verteidigen der Freiheit, Gerechtigkeit und der Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft, mit den friedlichen Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und des gesunden Menschenverstandes.“ Dafür wollten sie mit Menschen in den Dialog treten, die verunsichert seien oder andere Ansichten hätten.
  • Sie seien keine Corona-Leugner, sondern wollten erreichen, dass die Menschen ins Gespräch kämen, so Lars Pelka von der Initiative. „Dazu gehört auch, dass man den Kollateralschäden eine Stimme gibt und über die Angemessenheit der Maßnahmen diskutieren kann.“