Kreis Harburg. Die Corona-Pandemie hat das Leben von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Monaten deutlich beeinträchtigt. Die Zahl der Meldungen über gefährdete Kinder hat sich zwischen April und Dezember um 37 Prozent auf 171 erhöht. Die Inobhutnahmen stiegen sogar um 51 Prozent auf 65. Diese Zahlen hat die Leiterin des Kreis-Jugendamtes, Katrin Richter-Fuss, in Jugendhilfeausschuss genannt. Sie erkennt aus den zunehmenden Meldungen jedoch auch einen positive Entwicklung: „Die Zahlen zeigen, dass die Menschen sich um andere kümmern. Sie schauen hin, das funktioniert.“
Die meisten Meldungen stammen aus August und September sowie von November und Dezember 2020. Als Hintergrund vermutet Richter-Fuss, dass nach der Öffnung der Schulen und Kindergärten im Herbst Kinder und Jugendliche wieder Gelegenheit zu Gesprächen mit Lehrern und Betreuen hatten und dass sich zudem Familien vor den Weihnachtsfeiertagen stark belastet fühlten. Denn eine Feier wie zuvor ohne Corona-Infektionen war ja nicht möglich.
Meldungen erreichen das Jugendamt von Lehrern, aus Kindergärten, von Nachbarn oder auch aus Berichten der Polizei. Gefährdungen werden dabei je nach Alter der Kinder etwa an der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken aber auch daran festgemacht, wie gespannt das Verhältnis in den Familien ist. So kommt es bei den Grundschülern und älteren Schülern vor, dass sie zu lange allein gelassen werden oder ihnen zu viel Verantwortung für das Familienleben aufgebürdet wird. „Nachbarn melden sich bei uns, wenn sie merken, dass häufig gestritten oder geschrien wird“, sagt die Jugendamtschefin. Gerade die Gruppe der Kinder von sechs bis 14 Jahren ist mit 48 Prozent aller Meldungen am häufigsten vertreten. Es folgt die Gruppe der Drei- bis Sechsjährigen mit 20 Prozent.
Das Jugendamt kann direkt eingreifen
Im Notfall fährt einer der Sozialarbeiter des Landkreises sofort los, um bei der jeweiligen Familie einzugreifen. Insgesamt arbeiten 21 Experten für das Amt jeweils für einen bestimmten Bezirk. Zehn Sozialarbeiter sind für den östlichen Bereich und elf für den westlichen Bereich des Landkreises zuständig.
Für den Zeitraum der neun Monate bis zum Jahresende waren 40 Prozent der gemeldeten Kinder und Jugendlichen akut oder latent in Gefahr. Die Folge: Die Kinder mussten aus der Familie herausgenommen werden oder die Eltern mussten sich zumindest bereit erklären, sofort Hilfe anzunehmen.
Das Jugendamt kann in solchen Fällen die jungen Menschen zu Kurzzeitpflegeeltern geben. Diese Kurzzeitpflege soll dabei nicht länger als zehn Tagen dauern, um danach einen neuen Weg für die weitere Erziehung zu finden. In Tostedt kann die Evangelische Jugendhilfe Friedenshort Kinder und Jugendliche aufnehmen.
Sind die Eltern jedoch nicht bereit, auf die Hilfe vom Amt einzugehen, kommen die Familiengerichte ins Spiel. „Die Richter können dabei sogar anordnen, dass Mutter und Vater das Sorgerecht entzogen wird“, sagt Richter-Fuss. Zehn Prozent der Meldungen landete derzeit vor einem der beiden Familiengerichte im Landkreis.
Inobhutnahmen: Anteil der Mädchen stieg auf 60 Prozent
Bei den 65 Inobhutnahmen liegen ebenfalls für die Monate September, November und Dezember die höchsten Zahlen vor. Dabei fällt auf, dass der Anteil der Mädchen mit insgesamt 40 im Vergleich zum Vorjahr von gut der Hälfte auf mehr als 60 Prozent gestiegen ist. Richter-Fuss geht dabei davon aus, dass in traditionellen Familien noch immer mehr Verantwortung auf die Mädchen übertragen wird und sie damit stärker unter Druck geraten.
„Die erhöhten Zahlen zeigen deutlich, wie die Corona-Pandemie die Familien auch psychisch belastet. Sie brauchen Hilfe, bitten häufig sogar selbst darum oder wir müssen eingreifen“, sagt die Leiterin des Kreis-Jugendamtes.
Immerhin hat der verstärkte Einsatz von Video- oder Telefonkonferenzen dazu geführt, dass nun oftmals rascher geholfen werden kann als bei abgesprochen Terminen in der Kreisverwaltung. „Meine Mitarbeiter sind da einfallsreich und machen einen guten Job“, lobt die Chefin.
Immerhin: Bei sieben Prozent der Meldungen mussten die Mitarbeiter des Jugendamtes dann doch nicht eingreifen. Die Sorge der Melder stellte sich als unberechtigt heraus. Auch der beste Vater und die beste Mutter und ihr Nachwuchs können einmal einen ganz schlechten Tag haben.
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