Kreis Segeberg. Die Ostsee liegt 75 Kilometer entfernt, zur Nordsee sind es von Latendorf aus sogar 100. Latendorf hat nur Gräben, Felder und Bauernhöfe zu bieten. Ausgerechnet hier, in dem 575-Einwohner-Dorf mitten in Schleswig-Holstein, liegt die einst stolze „Cleone“ auf dem Trockenen. Stahlträger stützen die 98 Jahre alte Yacht, auf der einst Charlie Chaplin segelte und die Anfang der 20er-Jahre zweimal die Transatlantikregatta England–New York gewann. Der Rumpf ist marode, die Farbe blättert ab. Die 80-PS-Maschine steht still.
Lady der Meere
Die in die Jahre gekommene Lady der Meere ist am Dorfrand im stillgelegten, inzwischen überdachten Silo von Milchbauer Kurt Scharlibbe untergekommen – einer Werft zwischen Feldweg und Schwarzbunten. Schwer zu glauben, dass die „Cleone“ schon in wenigen Jahren wieder elegant und schnell über die Meere segeln wird.
Genau das haben sich der 64 Jahre alte Bauer und der ehemalige IT-Unternehmer Michael Heidelmann (60) aus Bordesholm vorgenommen. Spätestens 2020, ein Jahr nach seinem 100. Geburtstag, soll der Zweimaster wieder in See stechen und maritimen, mondänen Glanz in die Yachthäfen tragen. So wie damals in den 20er- und 30er-Jahren, als die 21 Meter lange Gaffelketsch auf dem Atlantik unterwegs war.
Sieben Männer und Frauen arbeiten regelmäßig in ihrer Freizeit daran, die „Cleone“ wieder zu beleben. Doch Heidelmann und Scharlibbe hoffen auf weitere Unterstützung und wollen fern von allen Häfen auf dem Scharlibbe-Hof den Verein „Museumswerft“ gründen. Eine Satzung ist in Arbeit. In wenigen Jahren, wenn die „Cleone“ wieder unterwegs ist, wollen die Vereinsmitglieder außerdem ein Buch über die Geschichte der Yacht veröffentlichen. „Wir haben alles genau recherchiert“, sagt Heidelmann. „Eine Wahnsinnsarbeit.“
"Ein anderes Leben"
Mit 55 Jahren hatte er sich entschieden, den Hochgeschwindigkeitsjob als IT-Unternehmer aufzugeben, und verliebte sich in die „Cleone“. „Ich wollte ein anderes Leben“, sagt Heidelmann. Auch Kurt Scharlibbe hat sich vor Jahren von seinem alten Leben und seinen Tieren verabschiedet. „Ein Milchbauer hat zwei Leben“, sagt der Ruheständler. „Eines vor den Kühen und eines danach.“ Aus dem Landwirt wurde ein Werftdirektor.
1919 haben Arbeiter die Yacht im britischen Sittingbourne auf Kiel gelegt. 1928 kaufte Charlie Chaplins Bruder Sydney die „Cleone“ und fuhr Rennen mit dem Zweimaster, der unter Deck komplett im Art-déco-Stil eingerichtet war – angeblich vom selben Ausrüster, der auch das Innenleben der „Titanic“ gestaltet hat. Heidelmann konnte viele kostbare Stücke retten, als er die heruntergekommene „Cleone“ in Borkum entdeckte, kaufte und per Lastwagen ins Holsteinische schaffen ließen.
Sogar die Toilettenschüssel mit Druckspülknopf aus Keramik und dem Abpumpmechanismus blieb erhalten. Wo Bauer Scharlibbe einst das Futter für seine 135 Milchkühe lagerte, liegen das schwere Segelzeug, Positionsleuchten und Reste des Armaturenbretts.
100 Bäume in der „Cleone“
Heidelmann, Scharlibbe und ihre Freunde arbeiten sich von unten bis zu den Masten vor. Die massiven Eichen, die das Holz liefern, haben sie selbst gefällt. Weitere Stämme hat Scharlibbe von einem Nachbarn zum Geburtstag geschenkt bekommen. „Wir können nicht alles kaufen“, sagt Heidelmann. „Wir organisieren vieles.“ Etwa 100 Bäume werden in der „Cleone“ stecken, wenn sie 2020 zu Wasser gelassen wird.
In diesen Monaten arbeiten die Männer an den 54 Spanten und haben sich dafür einen Laminiertisch gebaut, den Fachleute bestaunen. Hier werden jeweils 13 je 0,8 Zentimeter dicke Eichenholzlatten verleimt und auf dem Tisch mit beweglichen Blöcken in die richtige Form zu Spanten gebogen, bis sie getrocknet sind. Der Aufwand kostet Zeit und Mühe. Nur die beiden einander gegenüberliegenden Spanten sind identisch. Die Bohlen für den neuen Kiel liegen schon bereit.
Heidelmann freut sich schon jetzt darauf, wenn die Arbeiten auf dem Deck beginnen. Sechs Zentimeter starkes feinstes Burmateak haben die Werftarbeiter dort verlegt. „Nach dem Anschleifen ist das wie neu“, sagt Heidelmann. Dann wird das Deck goldgelbfarben glänzen und langsam die charakteristische graue Patina ansetzen. So wie damals, als Charlie Chaplin an Bord war.
Wer Interesse daran hat, an der „Cleone“ mitzuarbeiten und Mitglied des Vereins zu werden, kann sich per E-Mail an Michael Heidelmann werden: mheidelmann1@web.de
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