Kiel. Eine hübsche Internetseite hat die CDU Schleswig-Holstein. Nur wirkt sie nicht immer sonderlich aktuell. Der jüngste Eintrag unter dem Menüpunkt „Reden“ ist schon fast drei Jahre alt. Der Wortbeitrag stammt von Reimer Böge. Damals, im März 2013, war er zum neuen CDU-Landesvorsitzenden gewählt worden. Böge ist längst Vergangenheit, aber seine Rede wirkt plötzlich wie ein Echo auf die Gegenwart. „Wir brauchen in der Partei mehr Frauen und junge Leute“, hat er damals gesagt. Wie wahr. Gerade ist die Partei wieder ein Stück männlicher geworden. Eine der wichtigsten Frauen in der CDU, die stellvertretende Landesvorsitzende Heike Franzen, wird bei der Landtagswahl in gut einem Jahr ihren Sitz im Parlament verlieren.
Bei der Abstimmung um die Kandidatur im Wahlkreis Dithmarschen-Schleswig unterlag sie Thomas Klömmer, dem Landesgeschäftsführer der CDU-Mittelstandsvereinigung. Seitdem ist die Partei in Aufruhr. Böge ist aus Protest gegen die Klömmer-Kandidatur aus der Mittelstandsvereinigung ausgetreten. Und täglich kommen neue Details über eine offenbar doppelt manipulierte Wahl ans Tageslicht. Kein Zweifel: Die CDU ist in der Krise – und mit ihr Ingbert Liebing, der neue Landesvorsitzende.
In Pahlen fing der Schlamassel an
Am 11. Februar fing der ganze Schlamassel an – im Dörfchen Pahlen westlich von Rendsburg. Die CDU hatte zur Wahlkreisversammlung in die Eiderlandhalle eingeladen – eine „Event-Location“, in der sonst auch schon mal Ex-Pornosternchen wie Mia Julia ihre musikalischen Stehversuche unternehmen („Geile Kiste Arschgeweih“). Rund 500 Christdemokraten kamen. Drei Kandidaten bewarben sich um den Wahlkreis, neben Klömmer und Franzen auch Andreas Hein aus Heide. Schon im ersten Wahlgang schied die profilierte Bildungspolitikerin Franzen überraschend aus.
Was damals noch niemand wusste: Unter den 500 Wählern befanden sich einige, die erst kurz vor dem 11. Februar Parteimitglied geworden waren – wohl nur deshalb, um für einen der Kandidaten zu votieren und danach wieder auszutreten. Schon bald nach Thomas Klömmers Wahltriumph wurde eine von ihm verfasste WhatsApp-Nachricht bekannt, mit der er um Unterstützer geworben hatte. „Allerdings“, so schrieb er, „müsst ihr zumindest vorübergehend in die CDU eintreten.“ Rund 80 Klömmer-Fans sollen diesem Vorschlag gefolgt sein. Unter anderem hatte der findige Politiker die komplette Belegschaft einer Schlachterei von sich überzeugt.
Aber auch auf der Gegenseite blieb man nicht untätig. Timo Kux, Chef der CDU-Fraktion im Kreistag Schleswig-Flensburg, legte sich für Franzen ins Zeug. Kux, dem zwei Altenheime gehören, ist Sponsor des Fußballvereins VfB Schuby. Heike Franzen und der VfB sind gewissermaßen Nachbarn im Schubyer Putjeredder. Die Kicker soll er gebeten haben, in die CDU einzutreten und bei der Wahlkreisversammlung für die Bildungspolitikerin zu stimmen.
Die Fahrt von Schuby nach Pahlen wollte er bezahlen, ebenso die Mitgliedsbeiträge. Den Willigen unter den Sportlern legte er neben Parteieintrittsformularen angeblich auch gleich Austrittserklärungen bei. Gegenüber der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung“ bestritt er das, gab aber zu, dass es ihm „gemeinsam mit anderen Ortsvorsitzenden“ gelungen sei, „circa zwölf Mitglieder“ zu werben. Klar war damit: Die Christdemokraten hatten sich in Pahlen gewaltig verfranzt.
Großer Imageschaden
In der Partei dämmert vielen erst jetzt, wie groß der Imageschaden ist. Wird man bei der CDU wegen seines politischen Talents zum Landtagskandidaten? Oder doch nur wegen seines Werbetalents? Klömmer und Kux schweigen gegenüber der Presse.
Wer sich in der Partei umhört, erfährt, dass sie ihre Aktivitäten nicht im Geheimen vollzogen haben. Klömmer, 33, und Kux, 35, kennen sich, beide gehören der CDU-Fraktion im Kreistag an, beide sollen offen über den Stand ihrer jeweiligen Werbeaktionen gesprochen haben. Haben sich Klömmer und Kux etwa gegenseitig angespornt – quasi ein Klö-Kux-Clan der wundersamen Stimmenvermehrung?
Wer sich in der CDU weiter umhört, erfährt auch, dass Mitgliederakquise vor Wahlentscheidungen durchaus nicht ungewöhnlich sei. Nur gehe es deutlich zu weit, dies mit dem Hinweis zu verbinden, man könne ja nach der Wahl gleich wieder austreten. Illegal ist die Klö-Kux-Methode allerdings nicht, sie verstößt nicht einmal gegen das Parteistatut.
Es ist also alles eine Frage des Anstands. Wie darauf reagieren? Der Parteichef Ingbert Liebing wartete erst einmal ab. Das kennt man von ihm. Schon im Oktober 2014 hatte er lange gezögert, bevor er der Bitte von Parteifreunden nachkam, den vom Amt des Landesvorsitzenden zurückgetretenen Reimer Böge zu beerben. Gemeinsam mit Daniel Günther als Chef der Landtagsfraktion sollte – so der Plan – eine neue Führungsspitze die Partei auf Erfolgskurs trimmen. Günther gelang das in der Fraktion und im Parlament recht gut. Liebing blieb blass – und litt unter dieser Blässe. 2015 schasste er den auch für die Außendarstellung zuständigen Landesgeschäftsführer Sven Müller und ersetzte ihn durch den Landtagsabgeordneten Axel Bernstein. Eine teure Rochade. Müller muss noch bis Ende 2016 weiterbezahlt werden, das Geld wird im Wahlkampf fehlen.
CDU im Norden besteht zu 75 Prozent aus Männern
Das Team Liebing/Bernstein steht nun vor seiner ersten Bewährungsprobe. Offenbar wurde die Brisanz der Kandidatenkonstellation in Dithmarschen-Schleswig unterschätzt. Liebing versuchte zunächst, die Wahl als Ergebnis einer funktionierenden Basisdemokratie darzustellen, die allen, auch den Frauen, Chancen eröffne. „Frauenförderung und Basisdemokratie sind kein Widerspruch“, sagte er.
In der Theorie mag das so sein. Die Praxis in der schleswig-holsteinischen CDU sieht allerdings anders aus. Von den 22 christdemokratischen Landtagsabgeordneten sind fünf weiblich. Ein Zahlenverhältnis, das derzeit ziemlich genau die Parteiwirklichkeit abbildet: Die CDU im Norden besteht zu 75 Prozent aus Männern. Die Partei will attraktiver für Frauen werden, darin sind sich alle einig. Unterschiede ergeben sich in der Frage, wie viel Energie man aufwenden will, um dieses Ziel zu erreichen. Während Katja Rathje-Hoffmann, die Vorsitzende der CDU-Frauenunion in Schleswig-Holstein, nach der Franzen-Niederlage eine Frauenquote von 30 Prozent forderte, sagte Liebing den „Kieler Nachrichten“: „Druck von oben erreicht eher das Gegenteil.“ Und schob hinterher: „Das Problem, das die Kandidatur von Frauen betrifft, ist längerfristig.“ Momentan hat die CDU Wichtigeres zu tun. Liebing will die Landtagswahl gewinnen. Mehr Frauen, so glaubt er, helfen da nicht. Mehr Polizei schon. Am Wochenende ließ er bei einer CDU-Klausurtagung ein Positionspapier verabschieden, dessen zentraler Punkt die innere Sicherheit ist.
Ob er auch seiner in Aufruhr befindlichen Partei die innere Sicherheit zurückgeben kann, ist eine andere Frage. Die „Vorgänge“ um die Kandidatenaufstellung im Wahlkreis Dithmarschen-Schleswig will er nun aufklären lassen. „Das Werben von Mitgliedern nur für einen bestimmten Termin mit dem Hinweis, man könne danach auch wieder austreten, entspricht nicht meinem Empfinden von Anstand und Fairplay“, so Liebing. In der Pahlener Eiderlandhalle hat dieses Empfinden des Parteivorsitzenden ganz offenbar nicht die geringste Rolle gespielt.
Am Mittwochabend hat zumindest Timo Kux Konsequenzen gezogen und seinen Rücktritt von mehreren politischen Ämtern erklärt. Er trete unter anderem als erster Kreisrat, stellvertretender Landrat und Chef der CDU-Kreistagsfraktion zurück, so Kux in einem von der CDU Schleswig-Flensburg verbreiteten Schreiben.
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