Kiel plant neuartige Radarmessung für Rader Hochbrücke, Überwachung auf B6 in Niedersachsen startet im April.

Kiel/Hannover. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden Temposünder möglicherweise schon bald mit Hilfe einer neuen Messmethode zur Rechenschaft gezogen. „Section Control“ heißt der Fachbegriff für die Technik, die die Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos auf einem bestimmten Straßenabschnitt misst – und damit den Kampf gegen Raser revolutionieren könnte. In gut einem Monat beginnt der Testbetrieb auf der Bundesstraße 6 zwischen Gleidingen und Laatzen in der Nähe von Hannover. Bei Erfolg dieses bundesweit ersten Pilotprojektes plant der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD), „Section Control“ auch im nördlichsten Bundesland einzuführen.

Doch mit dieser Absicht stößt er im Kieler Landtag auf scharfen Widerstand. „Wehret den Anfängen“, sagt Christopher Vogt, der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion – und wähnt Deutschland einmal mehr auf dem Weg in den „Überwachungsstaat“. Denn die neue Technik erfasse jeden Autofahrer und lege von jedem Autofahrer Datensätze an. Die Piraten befürchten gar, dass nun bald „Bewegungsprofile“ erstellt würden. „Eine verdachtslose Massenerfassung unbescholtener Autofahrer ist nicht akzeptabel“, sagt der Abgeordnete Patrick Breyer.

Verkehrsminister Meyer will die neue Technik dennoch nutzen. Er hat ein bestimmtes Problem vor Augen, dass sich seiner Meinung nach damit lösen ließe: Die Geschwindigkeitsüberschreitungen von Lastwagen auf der Rader Hochbrücke. Wegen des schlechten Zustands des Bauwerks, das die A7 über den Nord-Ostsee-Kanal führt, gilt dort für Fahrzeuge, die mehr als 7,5 Tonnen wiegen, Tempo 60. Wer schneller fährt, könnte gefährliche Schwingungen auslösen. „Leider hat sich gezeigt, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung vielfach nicht eingehalten wird“, sagt Minister Meyer. „Das führt zu Verschlechterungen des baulichen Zustands und damit zu einer Verringerung der ohnehin schon kurzen Restlebensdauer der Rader Hochbrücke.“

Die fast anderthalb Kilometer lange Brücke, ohne die die Hauptverkehrsader des Landes zur Sackgasse werden würde, ist also in Gefahr. „Section Control“ könnte da helfen. Das System registriert, wann welches Fahrzeug die beiden Messstellen hüben und drüben der Brücke passiert. Sodann errechnet es mit Hilfe der Zeitdifferenz die Durchschnittsgeschwindigkeit in dem kontrollierten Abschnitt. Liegt sie klar über dem Tempolimit, wird ein Bußgeld fällig.

Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Blitzern ist klar. Hat der Autofahrer sie passiert, kann er gefahr- und sanktionslos Gas geben. Im Fall der Rader Hochbrücke könnte das fatale Folgen haben. Zudem ist auf der Brücke selbst für solche Blitzer kein Platz. Gerade dort, wo die Einhaltung des Tempolimits wichtig wäre, entfalten sie also keine Wirkung.

Meyer will an der Hochbrücke erst einmal die herkömmlichen Blitzer aufstellen. Motto: „Das ist immer noch besser als gar nichts“. Nach Abschluss des Testbetriebs von „Section Control“ in Niedersachsen will er neu entscheiden. „Ich finde, wir sollten die Augen vor diesen neuen technischen Möglichkeiten nicht verschließen“, sagt der Minister.

In Niedersachsen ist man da schon etwas weiter – man nutzt die neuen technischen Möglichkeiten. Die Pilotanlage, die von der Firma Jenoptik Robot stammt und den Namen „TraffiSection“ trägt, wird in diesen Tagen am Rande der Bundesstraße 6 montiert. Am 1. April soll eine Testphase beginnen, die vornehmlich der technischen Abnahme dient. Im Herbst wird das System in Betrieb genommen. Dann werden erstmals in Deutschland nicht punktuelle, sondern abschnittsweise Tempoüberschreitungen mit Bußgeldern oder noch härteren Strafen geahndet. Die Erprobung soll gegen Ende 2016 abgeschlossen sein.

„Section Control“ ist bei Verkehrsexperten schon seit längerem ein Thema. 2009 hatte der Verkehrsgerichtstag empfohlen, Rahmenbedingungen für den Einsatz der neuen Technik zu formulieren – zum Beispiel eine Beschränkung auf Unfallschwerpunkte. Geschehen ist bislang wenig. Niedersachsen hat nun den Anfang gemacht. Und sich dabei an die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstags gehalten. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) begründete das Pilotprojekt so: „Rund 70 Prozent aller tödlichen Unfälle in Niedersachsen passieren auf den Straßen außerhalb von Städten und Ortschaften. Bei den Geschwindigkeitskontrollen der Polizei waren in dem ausgewählten Abschnitt der B6 durchschnittlich alle zehn Minuten Raser erheblich zu schnell unterwegs.“ Deshalb könne man „auf dieser idealtypischen Strecke“ Erfahrungen sammeln, ob durch „Section Control" mittelfristig weniger und vor allem weniger schwere Unfälle passierten. 200.000 Euro gibt das Land für das Pilotprojekt aus.

In Österreich und der Schweiz gibt es „Section Control“ bereits. Auch dort kommt zumindest teilweise das System der Firma Jenoptik zum Einsatz. Das liefert auf Wunsch auch mehr als nur die reine Messung von Durchschnittsgeschwindigkeiten. Möglich sind laut Hersteller „Fahrergesichtserkennung, Klassifizierung unterschiedlicher Fahrzeugklassen und Geisterfahrererkennung “.