Er verabreichte Patienten auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst ein Herzmittel. Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich

Oldenburg. Die Angehörigen der Toten haben jetzt wenigstens Gewissheit: Der wegen dreifachen Mordes und zweier Mordversuche angeklagte Krankenpfleger hat am Donnerstag vor dem Oldenburger Landgericht 30 Fälle gestanden, in denen er ohne Grund Patienten auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst ein Herzmittel spritzte und sie auf diese Weise tötete.

Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen insgesamt 200 Fälle

Wegen dieser in der deutschen Nachkriegsgeschichte einmaligen Mordserie wird er sich absehbar noch einmal vor dem Landgericht verantworten müssen. Im laufenden Verfahren forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer fast unmittelbar nach dem Geständnis eine lebenslange Haftstrafe. Aber trotz besonderer Schwere der Schuld sah die Anklagebehörde von der Forderung nach einer Sicherungsverwahrung mangels Wiederholungsgefahr ab. Der Angeklagte bestätigte mit seinem Geständnis die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen, dem er schon früher gesagt hatte, er habe das Mittel in rund 90 Fällen grundlos verabreicht und 30 Patienten seien danach gestorben. Er hoffe, sagte der Angeklagte, dass seine Verurteilung den Angehörigen helfe, ihr Leid besser zu verarbeiten: „Es tut mir wirklich leid.“

Auffällig: Der Angeklagte vermied bei der Beschreibung der Taten die Ichform, sprach etwa von „man habe“, wirkte distanziert. Und er beteuerte, er habe die vorgeworfenen Taten nur während seiner Arbeit am Klinikum Delmenhorst begangen, nicht aber an früheren Arbeitsstätten in Wilhelmshaven und Oldenburg sowie als Rettungssanitäter. Polizei und Staatsanwaltschaft versuchen derzeit in mehr als 200 Fällen Klarheit zu schaffen über die Todesursache von Patienten. Inzwischen sind laut Staatsanwaltschaft die ersten Exhumierungen beschlossene Sache. Und angesichts der sich abzeichnenden beispiellosen Mordserie gehen Polizei und Staatsanwaltschaft auch ungewöhnliche Wege, haben für die nächste Woche eine gemeinsame Pressekonferenz angekündigt.

Der mutmaßliche Täter galt im Klinikum Delmenhorst als besonders erfahren bei der Reanimation von Patienten, übernahm dabei offenkundig gern die Rolle der Führungsperson und gestand jetzt, nach jeder gelungenen Wiederbelebung habe er sich gut gefühlt. Das kommt der Anklage nahe, die ihm unterstellt, er habe sich in Szene setzen wollen, manchmal auch aus Langeweile das Herzmedikament gespritzt. Er selbst sagte jetzt vor Gericht: „Es war eine Anspannung da und eine Erwartungshaltung, gleich passiert was.“ Wenn Patienten starben, habe er sich schlecht gefühlt: „Aber diese Erinnerung verblasste mit der Zeit.“ Der Mann sitzt derzeit bereits eine über sechsjährige Gefängnisstrafe ab wegen versuchten Mordes. Eine Krankenschwester hatte ihn ertappt, als er wieder einmal das Herzmittel spritzte.

Ermittelt wird gegen Klinikmitarbeiter und die Staatsanwaltschaft Osnabrück

Über Jahre aber hatten Angehörige dennoch kein Gehör gefunden bei der Staatsanwaltschaft mit ihrem Verdacht, ein Familienmitglied sei möglicherweise auf der Intensivstation unter merkwürdigen Umständen gestorben. Deswegen ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen mehrere frühere Staatsanwälte aus Oldenburg wegen des Verdachts der Strafvereitlung im Amt. Ermittelt wird auch gegen Mitarbeiter der Kliniken wegen des Verdachts, sie seien Verdachtsmomenten gegen den Angeklagten nicht nachgegangen. Kommende Woche wird die Verteidigung plädieren.