In Lüneburg steht ein 52-jähriger Mann wegen versuchten Mordes vor Gericht. Er hatte im Streit auf einen Nachbarn geschossen.

Lüneburg. Eine breite blaue Linie zieht sich über den Teller seiner Hand: Diese zehn Zentimeter Fleisch, Muskeln und Knochen haben Raimond Prigge, 62, vor schlimmen Verletzungen im Gesicht bewahrt. Knapp fünf Monate später ist die Hand immer noch geschwollen. Die Hand, die er schützend nach vorne hielt, als er auf dem Boden lag und sein Nachbar mit einer Pistole auf ihn zielte. Gegen den mutmaßlichen Schützen Thomas D. hat am Dienstag der Prozess vor dem Landgericht Lüneburg begonnen.

Walmsburg an der Elbe. 450 Einwohner. Auf der einen Seite der Hauptstraße der alte Dorfplatz, auf der anderen Seite ein ehemaliges Wochenendhausgebiet. Dort ist am 16. September vergangenen Jahres ein Streit eskaliert, der seit 2010 in der Straße schwelte. So heißt es in der Anklage, so erzählen es Nachbarn. Thomas D., 52, gelernter Schweißer, ist seit 2009 arbeitslos und lebt seit Jahrzehnten allein. 2009 baut er sich in Walmsburg ein Haus, zieht 2010 ein. „Die haben so Sprüche abgelassen, immer doof rumgelabert“, erzählt der Mann in Jeans und Jeansjacke vor Gericht über seine Nachbarn. Er selbst habe gar keine Lust auf Streit und Ärger gehabt.

Es kam anders. Es hagelte Anzeigen von beiden Seiten. Wegen Beleidigung, wegen Sachbeschädigung. Man traf sich bei der Schiedsfrau ein Dorf weiter. Und jetzt vor dem Landgericht, wo die Anklage auf versuchten Mord, Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz lautet.

2013 wird D. zu einer Geldbuße verurteilt, kündigt noch im Gerichtssaal an: Er lasse sich nichts mehr gefallen, besorge sich einen Hund und eine Waffe. Letztere hatte er längst. Gefunden vor 20 Jahren beim Joggen im Wald und nicht bei der Polizei abgegeben aus Sorge, sein damaliger Arbeitgeber würde ihm wegen unerlaubten Waffenbesitzes kündigen. Mit Waffen kannte er sich aus seiner Zeit als Ausbilder bei der Bundeswehr aus.

Benutzt hat er sie am 16. September 2014. Weil er starke Kopfschmerzen hatte, sei er mit dem Auto in den Nachbarort gefahren und habe sich eine Flasche Sekt gekauft, erzählt er den Richtern. Als er zurückkam, standen René Gabriel, 38, dessen Frau, 36, und Raimond Prigge, 62, auf dem unbewohnten Nachbargrundstück neben seinem Haus und machten sich an einem Baum zu schaffen.

Wieder Pöbeleien, doch diesmal eskalierte die Situation. Thomas D. holt seine Pistole aus dem Haus und schießt auf die Männer. So heißt es in der Anklage, so erzählen Zeugen. Der Schütze selbst beruft sich darauf, in Notwehr gehandelt zu haben – und darauf, sich nicht erinnern zu können.

Seine Nachbarn hat Thomas D. mit der Waffe nicht getötet. Vermutlich nur, weil die Munition so alt und die Schusskraft extrem eingeschränkt war, hat René Gabriel nicht mehr als Schussverletzungen in der Schulter davongetragen und Raimond Prigge eine verletzte Hand. Die Opfer fordern Schmerzensgeld, der Prozess wird fortgesetzt.

Nachbarn im Zuschauerraum sagen über Thomas D.: „Wenn der jemals zurückkommt ins Dorf, kann man nur wegziehen.“