Süße, saftige Früchte sind nur noch ein gefundenes Fressen für Tiere. Ursache ist Preisverfall nach der Superernte

Jork/Bassenfleth. Knackfrisch im Biss, enorm aromatisch-saftig und in diesen Dezembertagen von einer köstlichen Süße: Das sind die Altländer Äpfel. Wie leuchtend roter und gelber Baumschmuck hängen sie massenhaft, in einigen Anlagen wie Weintrauben, an den langen Baumreihen der Anbauflächen zwischen Cranz und Bassenfleth, vom Elbdeich bis zum Geestrand. Was in den drei Meilen Altes Land überreif an den Zweigen verderben wird, ist allerdings kein Weihnachtsschmuck, sondern eine „Katastrophe für die Obsterzeuger“.

So schätzt Jens Stechmann, Vorsitzender des Bundesausschusses für Obst und Gemüse, die aktuelle Lage ein. Der Altländer Gartenbauingenieur ist zudem Vorsitzender des Obstbauversuchsringes des Alten Landes an der Esteburg und sagt: „Die Millionen Äpfel an den Bäumen sind ein sichtbares Zeichen für die momentane Situation: Die Lager und Kisten sind voll und die Apfelpreise auf Rekordtief.“

Stechmann schätzt, dass nach der diesjährigen Rekordernte etwa eine Million Tonnen Äpfel mehr als gewöhnlich auf den europäischen Markt rollen. „Beste Qualität ist in den vollen Lagern“, sagt der Altländer. Es sei von der Europäischen Union (EU) gewollt, dass der Überschuss nicht geerntet wird. Das Pflücken der Äpfel wäre mit mindestens fünf bis sieben Cent pro Kilogramm teurer als die Vermarktung, etwa als Most oder Mus, für die es derzeit nur noch zwei Cent je Kilo gibt.

Hinzu kämen Kosten für Transport und Verpackung, sowie die Einhaltung des Mindestlohnes und für Qualitätssicherungssysteme, so Stechmann. Diesem wirtschaftlichen Zwang beugen sich die meisten der Erzeuger und lassen allein im Alten Land geschätzte 20.000 Tonnen an den Bäumen hängen. Eine Menge, die etwa auf 1000 Container-Lkw passen würde und die niemand will.

Claas Brüggemann ist Obstbauer in Bassenfleth. In seinem Betrieb, so schätzt er, sind rund 75 bis 100 Tonnen Äpfel an den Bäumen geblieben. Etwa vier bis fünf Kilo pro Baum könne man rechnen, so Brüggemann. Die Gründe erklärt Brüggemann aus Gärtnersicht so: „Die schwache Ernte vergangenes Jahr gab den Bäumen erholsame Ruhe, um Kraft zu sammeln. Diese Energie sorgte für eine extrem reiche Blüte 2014, dazu optimales Wetter, im April und Mai kaum Fröste, lange warm genug für die Bienen zur Bestäubung.“ Alles passte: Das milde Frühjahr, im Durchschnitt vier Grad wärmer als üblich, der sonnenreiche Sommer und der goldene, überlange Herbst. Diese Faktoren wünschen sich Obstbauern in Maßen für eine gute Ernte. Doch dieses Jahr ist sie so reichlich, dass es wirtschaftliche Konsequenzen hat.

„Auswirkungen hatte auch Putins Embargo für Russland. Der Handel gab das Kilo für 49 Cent an die Verbraucher“, rechnet Jens Stechmann vor. „Da wünschen wir uns mehr Wertschätzung für die Arbeit der Obsterzeuger.“

Das wünscht sich auch Obstbäuerin Lore Feindt aus Jork, die wie die meisten ihrer Berufskollegen viele Äpfel als „gefundenes Fressen“ für Vögel, Mäuse und Igel an den Bäumen lassen musste. „Alle Kisten sind mit bester Qualität so voll wie unsere Lager. Doch trotz bester Ernte gibt es nicht das große Geschäft. Für kaum zwei Cent können wir nicht wirtschaftlich pflücken und vermarkten. Fair wären 20 Cent pro Kilo für die Erzeuger. 2013 stimmte der Preis, dieses Jahr können wir nur hoffen, dass wir wenigstens ohne Verluste durchkommen“, sagt Lore Feindt.

Matthias Görgens vom Altländer Obstbauzentrum Esteburg in Jork plädiert aus pflanzenbaulicher Sicht jedoch dafür, die Äpfel von den Bäumen zu holen, auch wenn sie nicht einmal mehr für Saft und Most verwertet werden. „Das ist für die Blütenbildung im nächsten Jahr wichtig“, sagt Görgens.

Schon 2009 gab es mit durchschnittlich 40 Tonnen Äpfel je Hektar eine ähnlich reiche Ernte wie in diesem Jahr, so Görgens. Normal sind etwa 35 Tonnen pro Hektar. Auf der Apfelanbaufläche von 8842 Hektar wurden in beiden Jahren je 335 Tonnen feinstes Tafelobst eingebracht, etwa drei Prozent der Früchte verderben nun.

Die Anlagen von faulenden Äpfeln frei zu halten empfiehlt Stefan Moje, Geschäftsführer der „Elbe-Obst“. Andernfalls drohe eine Mäuseplage. Gleichwohl sieht er das Problem für die Obstbauern. Überangebot drückt den Preis. Der normale Apfel-Mostpreis liege bei zehn bis zwölf Cent je Kilo Äpfel, 2013 gab es sogar bis 16 Cent. Da seien zwei Cent wie derzeit absolut unwirtschaftlich, wenn man die Erzeugung des Obstes mit 30 bis 35 Cent je Kilo kalkuliert, so Moje.

Er bezeichnet die Marktsituation für die Obstbauern in ganz Europa als „sehr hart“. Betriebe, die letztes Jahr nur geringe Ernten hatten, haben nun doppelte Probleme. „Alle Extreme sind von Übel“, sagt Moje und organisiert mit seinen Teams Alternativen. Damit nicht alle Äpfel an den Bäumen verfaulen, hat die „Elbe Obst“ fünf Container-Lkw Äpfel im Wert von rund 50.000 Euro an die Tafeln in ganz Deutschland geliefert. Die von der EU geförderte „Schenkaktion zur Marktentlastung“ ist jedoch nur mit enormen bürokratischen Hürden zu realisieren, so Moje. „Wir hätten gern mehr verschenkt, aber wir sind mit den strengen Kontrollen der Papiere auf den langen Wegen der Waren personell überfordert“, sagt Moje „und wir tragen beim geringsten Formfehler das Risiko, dass unsere Lieferungen zu Spenden werden“.

Positive Prognosen hat Helwig Schwartau, Obst-Analyst bei der Agromarkt Informations GmbH Hamburg (AMI). „Eine Entspannung am Markt ist sichtbar, trotz großer Ernten überall in Europa, Russlandembargo sowie der niedrigsten Apfelpreise, die es jemals gab.“ Pro Monat werden in Europa 600.000 Tonnen Äpfel verkauft. Bei der hervorragenden Qualität der Äpfel wird sich das Preisniveau in den kommenden Monaten wieder normalisieren.