Der Fall des Krankenpflegers aus Delmenhorst habe sich zum „handfesten Justiz- und Krankenhausskandal entwickelt“, sagen Patientenschützer

Oldenburg. Der Fall des wegen dreifachen Mordes angeklagten Krankenpflegers aus Delmenhorst wird endgültig zum Politikum. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat am Freitag an alle Fraktionen im niedersächsischen Landtag appelliert, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. „Die Tragödie hat sich längst zu einem handfesten Justiz- und Krankenhausskandal entwickelt“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.

Am selben Tag wehrte sich die Leitung des Klinikums in Delmenhorst auf einer Pressekonferenz gegen den Vorwurf, man sei von der Apotheke in Oldenburg bereits 2004 auf den ungewöhnlich hohen Verbrauch des Herzmedikaments Gilurytmal hingewiesen worden. Und man habe zudem bereits 2005 die Justiz auf die festgestellte erhöhte Todesstatistik hingewiesen. Allein in Delmenhorst geht es um fast 170 Verdachtsfälle.

Der Mann war 2006 bereits wegen eines Mordversuchs auf der Intensivstation vom Landgericht Oldenburg zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt worden, kam aber wegen des laufenden Revisionsverfahrens wenig später ohne Berufsverbot frei, arbeitete bis 2008 in einem Altenpflegeheim. Nun muss untersucht werden, ob er auch dort aus Langeweile oder Geltungssucht Menschen ein tödliches Medikament verabreichte, um sich dann bei der Wiederbelebung in Szene setzen zu können.

Darüber hinaus untersucht die Staatsanwaltschaft jetzt auf der Basis der Auswertung der Krankenakten mehr als 200 Todesfälle in den Kliniken Wilhelmshaven, Oldenburg und Delmenhorst. Hier hatte der 37-Jährige vor 2005 gearbeitet. Über Exhumierungen soll Anfang 2015 entschieden werden.

Warum die Staatsanwaltschaft nach der ersten Verurteilung 2005 weiteren Verdachtsfällen nicht nachging, ist jetzt ein Fall für die Justiz. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt gegen zwei frühere Kollegen der Staatsanwaltschaft Oldenburg wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen acht Klinikmitarbeiter aus Delmenhorst wegen des Verdachts des Totschlags durch Unterlassen.

Fest steht: Das Klinikum Oldenburg hat den Mann mit einem Zeugnis regelrecht weggelobt, aber die Delmenhorster Kollegen nicht darüber unterrichtet, dass der Mann auffällig war. Die Delmenhorster Klinikleitung wiederum bestreitet seit Freitag nachdrücklich den Vorwurf, sie habe Hinweise missachtet, dass der Verbrauch des Herzmittels Gilurytmal nach dem Arbeitsantritt des 37-Jährigen ungewöhnlich stark angestiegen sei.